Ehen in Philippsburg
viel zu zartgliedrig. Daß er einfältig war, ließ ihn in den Augen der Damen charmant erscheinen, aber Dr. Benrath hoffte, Cécile würde das unterscheiden können. Konnte sie das nicht, dann hatte er sich eben getäuscht in ihr. Sie mußte doch bemerken, daß dieses Bürschlein seine Erscheinung bis auf die Bewegung seiner zarten Hände effektsicher berechnete.
Wahrscheinlich hatte der auch entdeckt, daß sein wohlgeformtes Gesicht am besten wirkte, wenn er es ein bißchen mit Leiden und Bitternis überzog, seitdem machte er ein melancholisches Gesicht; auch wenn er lächelte, und das tat er, sobald ihn jemand ansprach.
Er war Céciles rechte Hand. Ihn schickte sie als Einkäufer nach Paris. Und als sie bemerkte, daß die meisten ihrer Kunden in den Ferien nach Spanien und Afrika zu reisen begannen, schickte sie ihn nach Sevilla und nach Algier, um ihre Farben und Formen um eine neue Nuance modischer Folklore zu bereichern. Und dann nach Jugoslawien, nach Griechenland und Ägypten. Claude war den Philippsburger Touristen immer um eine Nasenlänge voraus; er wußte, wie weit die Fremdenführer die Touristen eindringen ließen, und ging immer noch um ein paar Straßen tiefer ins Eingeborenenviertel, um die Kollektionen für Philippsburg zusammenzukaufen. In Gesellschaft erschien Cécile fast nie ohne ihn. Man sagte, er sei ihr Geliebter. Dr. Benrath, der Claude einmal als ein »Halbmännchen« bezeichnet und damit vor allem den Beifall der Männer eingeheimst hatte, fand keine Ruhe bei dem Gedanken, daß eine Frau wie Cécile diesem Claude gehören sollte, der auch als Fünfzigjähriger noch halbwüchsig aussehen würde.
Benrath hatte begonnen, Gedankengespräche mit Cécile zu führen. In diesen Gesprächen war er ihr als ein überlegener Mann gegenübergetreten. Es waren dies Übungen zur Stabilisierung seines Selbstbewußtseins, die er sonst nicht nötig hatte. Seine beruflichen Fähigkeiten hatten ihn zu einem angesehenen Arzt gemacht; nun waren aber diese Fähigkeiten nicht bloß auf sein Fach beschränkt, auf sein Wissen etwa oder auf sein handwerkliches Können; wenn man von ihm sprach, das wußte er, konnte niemand trennen, konnte keiner sagen, er ist ja ein ganz brauchbarer Arzt, aber sonst ist nicht viel mit ihm los. Was er als Arzt war, das war er auch dank seiner Gabe, jeden Sachverhalt in überraschende Sätze zu fassen, Sätze, die so eigenartige Bilder mit sich führten, daß auch Zuhörer aufhorchten, die sich sonst für dieses oder jenes Thema gar nicht interessiert hätten. Seine Diagnosen überreichte er seinen Patienten wie Sträuße phantastischer Blumen, seine Gespräche an den Krankenbetten waren funkelnde Gebilde, die die Kranken noch andächtig bewahrten, nachdem der Herr Doktor schon längst zum nächsten Bett weitergegangen war. Er war in jedem Augenblick der erfahrene Arzt und der Formulierer Erstaunen machender Sätze; der sehnige, fast zwei Meter große, immer braun gebrannte Sportler; der Dreiviertelkünstler, der Bilder malte, die dem Auge schmeichelten, ein bißchen traurig, aber immer noch elegant; und dazu spielte er noch Klavier, alles aus dem Kopf, und war fähig, jeden Stil zu imitieren. Da Dr. Benrath wußte, daß jede einzelne seiner Begabungen jedem Mitglied der Philippsburger Gesellschaft bekannt war, konnte er allen Begegnungen mit Ruhe entgegensehen; was waren denn all diese gesellschaftlichen Veranstaltungen anderes als ein einziger Bilderrahmen, der sein Porträt zu fassen hatte! Und trotzdem hatte er sich nicht auf seine Begabungen verlassen wollen, als er sich vorgenommen hatte, einmal mit Cécile zu sprechen. Er hatte geübt wie ein kleiner Abiturient, der zum ersten Mal ein Rendezvous verabredet hat. Und als er dann den Mut gehabt hatte, seine Gedankengespräche vor der wirklichen Cécile zu wiederholen, da war ihm tatsächlich von allen seinen Übungen nichts Verwendbares mehr eingefallen. Cécile hatte ihn durch ihre Unterwürfigkeit sprachlos gemacht. Er erkannte, was alles durch das gesellschaftliche Brimborium verschüttet werden kann. Sie war eine Frau, der nichts auf der Welt so wichtig war wie ein Mann, den sie lieben konnte. Benrath atmete auf, als er erfuhr, wie wenig sie sich mit ihrem Kunstgewerbe identifizierte, wie wenig sie mit Claude zu tun hatte. Ja sie hatte mit ihm geschlafen, ein einziges Mal.
Benrath war zusammengefahren, als er das hörte. Diese Mitteilung, obwohl er es doch schon gewußt hatte, aber diese Mitteilung aus ihrem Mund
Weitere Kostenlose Bücher