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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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bis zum Überdruß auch, bis zur Entbindung aller Kräfte zu bewegen, wie er es für das, was er bei sich selbst »psychischen Stoffwechsel« nannte, nicht entbehren konnte. Wie hätte ihm, der mit den Jahren immer leutegieriger wurde, Birgas glühende Stille, ihr ganz auf inwendigen Einklang, auf wortlosen gegenseitigen Verzehr angelegtes Wesen genügen können! Gesellschaft war für ihn Abenteuer, fast das einzige Abenteuer, dem sich ein Mann in diesem Jahrhundert noch ergeben konnte. Sechs, acht Menschen, die gelangweilt herumsaßen, sich von Gesprächsthema zu Gesprächsthema schleppten, plötzlich in Zuhörer zu verwandeln, das befriedigte ihn. Diese Zuhörer mußten sich selbst vergessen, wenn er sprach, er mußte sie mit seinen Worten lenken können, wie man ein Pferd mit leisem Schenkeldruck lenkt, oder, wenn es nicht gehorcht, auch mit den Sporen dirigiert. Herausfordern, ja sogar beleidigen mußte er, um Widerstand zu spüren, um sich selbst für ein paar Augenblicke ganz zu empfinden.
     Birgas Augen umschatteten sich allmählich, ihre Bewegungen verloren ihre absichtslose Vollkommenheit. Sie, die für keinen Kampf geschaffen war, begann sich zu wehren. Weil sie nicht verstehen konnte, daß ihre Erwartungen von geradezu überirdischer Natur waren, vermutete sie, daß eine andere Frau Alf daran hindere, ihr jenes absolute Gefühl entgegenzubringen, das für sie so selbstverständlich war. Wenn sie sich darüber unterhielten, lief ihr Gespräch immer im gleichen engen Kreis herum, aus dem es keinen Ausweg fand. In die Zeit dieser rotierenden Gespräche fiel der Beginn ihrer Haarkrankheit. Birga wurde noch verletzlicher.
     Dann erst sah Alf Cécile. Sie war für Alf lange Zeit bloß die Inhaberin des Kunstgewerbegeschäfts gewesen, in dem alle seine Bekannten und auch Birga ihre Festtagsgeschenke, ihre Teetassen, ihre Vorhänge, ihre Kunstdrucke und ihre Tischbesen kauften. Birga verbrachte viele Nachmittage in jenem Laden, den er schon der Firmenbezeichnung wegen nicht gerne betrat. Er teilte die Vorliebe seiner Bekannten für diese Geschmacksrichtung nicht. Die Ausschließlichkeit, mit der die Anhänger diesen Geschmack verfochten und die Firmenbezeichnung, die ihm affektiert erschien, verdarben ihm die Freude, die er an diesem oder jenem Stück hätte haben können. Birga kaufte viel in diesem Geschäft; nicht wahllos, nicht im Vertrauen darauf, daß das, was Cécile führte, immer auf der Höhe des Geschmacks sei, nein, sie hatte einen ganz eigenen, weiträumigen Sinn, der Gegenstände der verschiedensten Herkunft zueinander brachte, daß sie nachher in der Wohnung zusammen einen tiefen Ton ergaben, der reich an dunklen Echos war. Mit Birga war er verschiedene Male bei Cécile gewesen, hatte sie aber erst in der Gesellschaft richtig kennengelernt; bei den vor Ernst öden Veranstaltungen der Philippsburger literarischen Gesellschaft; bei den Bällen im Hause des Konservenfabrikanten Frantzke, die dessen Frau am liebsten auf eine bloße Vorführung ihrer jeweiligen Garderobe beschränkt hätte, dann nämlich hätte sie an einem Abend einen ansehnlichen Teil ihrer Kleider zeigen können; während eines richtigen Ballabends jedoch konnte sie sich allerhöchstens zwei- oder dreimal umziehen; (mit der Begründung, das erste Kleid habe sich doch als zu warm erwiesen: »das ist eben Duchesse!« Über das zweite Kleid habe ihr leider so ein Tölpel, einer vom Ministerium, ein Beamter natürlich, ein Glas Rotwein geschüttet, schade um den Hermelinbesatz!) Bei einer Party in der Villa Volkmann hatte er zum ersten Male mit Cécile getanzt. Dann war sie auf seine Bitte in den Segelclub eingetreten. Er war eifersüchtig geworden, weil man Cécile umwarb. Er hatte jede ihrer Bewegungen beobachtet, auch die beiläufigsten, die alle gleichzeitig gelöst und voller Spannung waren und tierhaft geschmeidig; und dabei war sie selbst von heiterem, fast kindlichem Wesen. Vielleicht schlummerte in ihr etwas, das bei all diesen Veranstaltungen nicht zum Vorschein kam. Er war neugierig geworden und dann böse, weil sie immer diesen jungen Maler mit sich herumschleppte. Der kokettierte damit, daß er Deutsch-Franzose sei. Angeblich war er in Paris aufgewachsen. Er malte sinnlose, aber schöne Bilder, trug ein allzu ebenmäßiges Gesicht mit einer etwas hakigen Nase, die ihn sehr männlich erscheinen ließ und gleichzeitig die Ebenmäßigkeit der übrigen Gesichtspartien noch mehr hervorhob. Er war doch viel zu klein für Cécile,

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