Eheroman (German Edition)
nie.»
«Du musst es nicht erklären.»
«Doch. Ich bin gar nicht mehr so verbittert, hast du das bemerkt?»
Ava zuckt mit den Schultern. War Hartwig je verbittert? Vielleicht manchmal.
Hartwig beugt sich runter zu Martin, der jetzt mit blinzelnden Augen auf die redenden Erwachsenen über sich starrt.
«Ich weiß, sie ist älter als ich und sie hat eine ziemlich große Nase, und so ganz allgemein ist sie vielleicht nicht so … Aber ich finde … Ich finde sie richtig schön. Ich weiß, sie ist nicht schön, aber ich finde sie schön. Das ist verrückt, oder? Das hat doch was zu bedeuten.»
«Hm.»
«Was denn?» Hartwig fasst Ava unter das Kinn wie ein Vater und zieht ihr Gesicht hoch. «Heulst du? Avi, heulst du etwa?»
«Ich heul doch nicht.»
«Sonst warte noch mit dem Kleinen. Bring ihn noch nicht in die Krippe. Du brauchst vielleicht noch Zeit. Du kannst auch nächstes Jahr hier anfangen. Die Branche entwickelt sich. Die Alten werden mehr, das kommt alles.»
«Spinnst du! Ich will nicht warten, ich will arbeiten. Ich bin einfach nur gerade so.»
Sie ist jetzt zweiunddreißig, Hartwig siebenunddreißig. Manchmal kommt es ihr vor, als stünde etwas zwischen ihnen, eine Art Verlegenheit, weil sie sich schon kannten, kaum waren sie erwachsen geworden, als Ava als Auszubildende fragend hinter ihm hergelaufen war, weil er ihr besser und williger die Dinge erklärte als die Ärzte oder die für die Auszubildenden zuständige Schwester. Jetzt standen sie in diesem Raum in dieser Stadt und waren Erwachsene und wussten dies und spürten dennoch ein Überbleibsel von dem damaligen kindlich-freundlichem Verhältnis. Ava war nur mittlerweile ebenso erfahren und wissend wie Hartwig und durch ihre mittlerweile zweifache Mutterschaft ihm in gewisser Weise vorausgeeilt.
Hartwig und Frau Dr. Brackwerth haben nach ihrer Heirat ihre eigenen Namen behalten und sind auch nicht zusammengezogen. Geheiratet haben sie aus romantischen Gründen, aus Trotz, wie Beate meint. Beate ist immer noch in Lüneburg, will aber schon lange kündigen und zu Hartwigs Häuslicher Pflege wechseln. Hartwig ist dafür. Frau Dr. Brackwerth nicht so, weil sie weiß, dass Hartwig und Beate schon mal was laufen hatten. Hartwig ist sogar sehr dafür, weil Beate fleißig ist und alles kann, fast wie ein Arzt und manchmal besser. Außerdem mag er Beate, Beate mag ihn, und Beate mag auch Ava, und so sind sie dann alle zusammen in einer Firma, wenngleich sie sich kaum über den Weg laufen werden. Vorerst ist aber Beate immer noch in Lüneburg, vor allem wahrscheinlich wegen des verheirateten Barmanns, mit dem sie zugange ist und der sich angeblich seit langem scheiden lassen will. Seine Frau weiß es nur noch nicht. Beate sagt, sie liebt ihn eigentlich nicht. Aber anscheinend kann sie auch nicht weg von ihm. Obwohl er lügt. Obwohl er nie Zeit hat. Obwohl er ein bisschen dick ist. Unverständlich. Hartwig meinte zu Ava, er würde mal rüberfahren und ihr die Meinung sagen, wenn nicht Angela (Dr. Brackwerth) so absolut dagegen wäre. Ava kann sich vorstellen, welchen Verlauf das Gespräch zwischen Beate und Hartwig nehmen würde. Einen alkoholischen und sehr liebevollen auf jeden Fall. Aber Frau Dr. Brackwerth braucht sich keine Sorgen zu machen – Hartwig ist im Moment nicht liebesgefährdet.
Ava karrt Martin zum Kindergarten, wo sie Merve gleich mit Gewalt dem Spiel entreißen wird. Es gibt eine angeschlossene Krippe, in der Martin schon angemeldet ist. Sie hat so viel Vertrauen zu dem Laden entwickelt, dass sie gar keine Bedenken wegen Martin hat, obwohl er erst ein Jahr alt ist. Martin ist umgänglich und unkompliziert. Die meisten anderen kleinen Kinder mögen ihn wegen seiner sanften Tatenlosigkeit. Martin haut nicht und nimmt nicht weg. Martin sitzt und wartet darauf, dass ihm etwas gereicht wird. Die Taktik geht auf, auch wenn es keine ist. Die anderen Kinder verhalten sich großzügig. Jedes Tierchen bahnt sich seinen eigenen Weg durch den Dschungel. Manche liegen auch nur stumm da und krümmen sich ein wenig, und der Dschungel wölbt sich über sie hinweg. Wer weiß schon, was richtig ist? Ava will sich keine Gedanken machen oder nicht so viele. Sie muss Merve jetzt pädagogisch darauf vorbereiten, dass sie gleich abgeholt wird. Gleich heißt, sie bekommt noch fünf Minuten, sich darauf einzustellen. Obwohl es Blödsinn ist, denn nach fünf Minuten ist sie nicht williger, ihre Legoeisenbahn zu verlassen, als jetzt. Aber die fünf
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