Eheroman (German Edition)
hat, hat Ava und Danilo sehr verwundert. Aber einer aus der Familie musste vielleicht die Wissenschaftstradition durchbrechen, denkt Ava. Fadil ist viel zu zufrieden für die Wissenschaft. Er interessiert sich für vieles, aber was sollte ihn so antreiben, dass er sich reinkniet wie seine immer grauer und dünner werdende Mutter in ihren Hosenanzügen und mit ihrer buckeligen Nase, die immer noch in der Quantenphysik forscht und der oft die Forschungsgelder ausgehen? Ava hat sie einmal mit Fadil in der Innenstadt am Jungfernstieg getroffen. Die Mutter war rau und freundlich gewesen, aber an Ava nicht besonders interessiert. Was sollte ihn so antreiben, dass er sich nervlich kaputt macht wie sein Vater, der mit seiner Firma, die Dachkonstruktionen entwirft, von einer Katastrophe in die nächste schliddert, in seinem futuristischen Designwahn? Fadil ist ja zufrieden. Fadil scheint nichts zu fehlen. Nicht einmal eine Frau und ein Kind. Und das betrübt seine Familie schon, erzählt er oft. Seine Eltern hätten nichts gegen eine deutsche Frau. Überhaupt nicht. Wenn er nur Kinder bekommen und eine Familie gründen würde.
«Warum hat er niemanden? Ist er schwul?», fragt Ava Danilo.
«Nein. Er ist nicht schwul. Er hat schon Frauen, Ava.»
«Frau en hat er? Er hat Frau en ?»
«Klar. Was denkst du denn?»
«Das wusste ich nicht. Man merkt es ja auch gar nicht.»
«Wie willst du das auch merken?»
Ava zuckt mit den Schultern und öffnet sich ein Bier. Die Kinder sind im Bett und schlafen. Es ist kurz nach neun. Es ist wunderbar, dass die Kinder schlafen. Es ist die beste Zeit des Tages.
«Fadil merkt ja auch, dass du mich hast», sagt Ava.
«Ja. Das merkt er.»
«Was soll das heißen?»
«Du hängst immer an ihm dran, wenn er da ist.»
Ava knallt das Bier auf den Tisch. «Er ist ein Freund von uns.»
«Er ist ein Freund von mir.»
«Er ist auch ein Freund von mir.»
«Du kannst es, glaube ich, nicht ertragen, dass ich einen Freund habe, Ava. Du hast doch auch deine Freunde. Beate und Sabine und Merve und Hartwig. Die will ich doch auch nicht haben. Also lass mir doch meine Freunde.»
«Aber ich mag Fadil.»
«Du magst alle. Es ist völlig gleichgültig. Jeden, den ich mitbrächte, würdest du mögen.»
Ava betrachtet Danilos im Deckenlicht leicht fettig glänzendes Gesicht. Er ist blass, hat tiefe Ringe unter den Augen, seine scharfe Nase ist von dunklen Poren übersät, und seine Lippen sind verächtlich herabgezogen. Sie steht langsam auf, verlässt sein Zimmer mit dem großen Tisch, mit seinen Büchern in den Regalen und seiner Musik auf der Kommode, sie knallt die Tür zu, obwohl die Kinder schlafen. Sie knallt die Tür mit voller Wucht zu, sodass sie sich selber erschrickt und an die Nachbarn denkt. Um diese Uhrzeit, Ava!
Merve, die Große, sitzt auf einem alten braunen Friseurstuhl und lässt sich von einer Frau namens Maike die Haare föhnen. Maike hat selbst kaum sichtbares Haar. Maike hat ihr Haar abrasiert. Sie trägt große strassbesetzte Kreuze baumelnd an den Ohren und ist stark geschminkt. Maike föhnt stumm Merves Haar. Merves rotes Haar ist stufig geschnitten und bläht sich fächerartig nach allen Seiten auf, während Maike immer wieder mit einer Rundbürste Strähnen nach innen föhnt.
Ava sitzt ein Stück weiter auf einem Wartestuhl und blättert in der Maxi. Neben ihr sitzt eine dicke Frau mit einem Gipsbein. Ihr Haar sieht glänzend gepflegt, kastanienbraun gefärbt und perfekt geföhnt aus, wie in einer Friseurzeitung. Das ist an sich für Ava zum Nachdenken, da vieles an der Frau unperfekt ist, das Gipsbein zum Beispiel, mit dem sie sich herschleppte, humpelnd und keuchend, und ihre Figur, die sich über anderthalb Sitzplätze ausbreitet. Gerade die Haare scheinen vollkommen in Ordnung und sogar perfekt zu sein. Aber es muss für sie etwas geben, das ihr sagt, dass sie trotzdem zum Friseur muss, oder sie entwickelt nur an der Stelle einen Ehrgeiz, wo die Perfektion ein für sie realistisches Ziel darstellt. In ihren Augen sind ihre Haare sicher nicht so perfekt wie in Avas Augen. Ava geht nie zum Friseur. Sie schneidet ab und zu ein Stück mit der Haushaltsschere ab. Es wird manchmal etwas schief. Aber sie bindet ihre Haare immer zusammen, da fällt es nicht auf. Letztens hat sie ihre Haare dunkelblond gefärbt, aber es fiel auch das nicht auf, weil ihre Haare ohnehin dunkelblond sind. Welche Farbe soll sie sonst nehmen? Rot? Und das, wo sie eine Freundin hat, die naturrotes Haar
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