Eheroman (German Edition)
schimmernden Tapete ausgekleidet. Die Tapete ist aus dem Lager eines Verwandten gewesen, eines Schwagers mit Farben- und Tapetenhandel. Hartwig hatte einen gewissen Streit mit seiner Ehefrau, aber die braungold schimmernde Tapete mit den riesigen Blütenköpfen war an die Wand gekommen und ließ den ohnehin dunklen Erdgeschossraum in der Kieler Straße noch dunkler erscheinen. Frau Dr. Brackwerth fand es unseriös. Unseriös sieht es eigentlich nicht aus, denn der ebenfalls alte dunkle Schreibtisch und die lederbezogenen Stühle, die aufgereiht im linken Teil des Raumes an der Wand stehen, unter gerahmten Schwarzweißfotos von Hunden aller Art, machen einen sehr ernsthaften Eindruck, findet Ava. Sogar die Hunde blicken ernsthaft mit ihren glänzenden schwarzen Äuglein in den Raum hinein. Im Grunde ist es gediegen und geschmackvoll. Im Grunde hat es Hartwig richtig entschieden. Der Raum unterscheidet sich von allen Büroräumen, die Ava je gesehen hat. Die Büroräume sonst pflegen mit Raufaser ausgekleidet und mit Ikeamöbeln bestückt zu sein. Aquarelle an der Wand und immer ein Strauß Blumen auf dem Tisch. Blumen gibt es bei Hartwig nicht, dafür einen polierten bronzefarbenen Aschenbecher auf einem schmalen Ständer.
«Du denkst doch wohl nicht, dass hier geraucht werden darf?», hatte Frau Dr. Brackwerth gefragt.
Hartwig hatte den Kopf geschüttelt. «Es ist für die Gäste.»
«Es wird hier nicht geraucht», hatte Frau Dr. Brackwerth gesagt.
«Nein», hatte Hartwig gesagt, «es ist nur für die Gäste.»
So läuft es ab, in der Ehe und überall, dachte Ava, sie stand dabei, so kann man sich jedenfalls einigen, ohne nicht nicht zu rauchen zum Beispiel. Sie war das erste Mal im Geschäft gewesen, sie hatte Frau Dr. Brackwerth die Hand geben dürfen und lächeln und Hartwigs stolzes Gesicht dabei bemerken müssen. Frau Dr. Brackwerth war früher eine ganz schöne Schabracke gewesen, zu dünn, zu meckerig und später dann auch noch oft depressiv. Aber jetzt ist sie etwas runder und freundlicher und eigentlich ganz süß geworden. Ihre Nase ist immer noch spitz, aber in runden Gesichtern machen sich spitze Nasen nicht übel, und ihr ebenso spitzes Wesen ist bei Hartwig gut aufgehoben. Ava hat sogar den Verdacht, dass Frau Dr. Brackwerth einen ganzen Haufen Humor unter der Zickigkeit versteckt gehalten hatte oder darin vergraben. Sie schießt Sätze wie Pfeile hervor, Hartwig sagt dazu «tss, tss, tss» und schüttelt den Kopf, und die Einmetervierzigfrau, die Vormittags aushilft, Frau Rena Mille, gibt ein kurzes quiekendes Geräusch von sich. Frau Dr. Brackwerth schießt nicht nur messerscharfe Pfeile gegen andere, sie schießt auch gegen sich selbst, sie ist gnadenlos gegen alle, auf eine humorvolle Art, die die Schärfe mildert.
Ava stellt ihr schlafendes Kind in seiner Karre am Eingang ab, sie will nicht den ganzen Dreck mit hineinfahren. Sie ruft zu Hartwig hin: «Ich kriege diesen Platz. Ich schätze, ich kriege ihn, sie haben es eigentlich schon gesagt, und dann kann ich theoretisch wirklich anfangen, wenn es geht.»
«Wenn es geht?» Hartwig steht von seinem Computer auf und wischt sich seine Hände an einem dunklen Handtuch ab, das er neben dem Teller mit der geschnittenen Tomate liegen hatte. Er kommt vor zu Ava, die neben dem Kinderwagen stehen geblieben ist, packt ihre Schultern und ruckelt ein bisschen an ihr herum. «Das ist toll! Wir sind Arbeitskollegen! Avi!»
«Na ja. Du wirst mein Chef. Hätte ich auch nicht gedacht, dass es mal so kommt.»
«Chef, Chef, interessiert doch keinen, außer die Frau Doktor vielleicht. Und die ist hier offiziell gar nicht dran beteiligt. Außerdem krieg ich sie zahm, Avi. Sie ist nicht verkehrt.»
«Das nehm ich an. Du hast sie geheiratet.»
Hartwig nimmt seine Hände von Avas Schultern und grinst.
«Ich sag doch, sie ist nicht verkehrt. Und das ist schon mal viel wert.»
«Und dass du sie auch liebst.»
«Nehme ich mal auch an, aber über so was berede ich mich nicht mit Leuten.»
«Tut mir leid, dass ich gefragt habe.»
«Ach Quatsch, das darfst du ja. Ich bin nur komisch. Ich bin gehemmt in solchen Sachen.»
«Du bist überhaupt nicht gehemmt. Ich bin bloß zu neugierig.»
«Wenn du dich fragst, warum ich sie geheiratet habe …»
«Frag ich nicht.»
«… das fragen sich alle.»
«Ich nicht.»
«Sie passt zu mir. Es sieht vielleicht nicht so aus. Aber sie passt wirklich zu mir. Das hast du nicht oft im Leben, ich hatte das noch
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