Eheroman (German Edition)
Endres Häusliche Pflege». Er setzt sich auf den Beifahrersitz, zieht dabei den Kopf ein und stellt ruckelnd den Sitz nach hinten. Ava hat Feierabend, wie immer, wenn sie am Abend bei Frau Burckhardt war. Frau Burckhardt ist nach dem Schlaganfall lebensunwillig. Sie redet kaum mit Ava und stellt sich kränker, als sie ist, wobei es sie auch wirklich schwer getroffen hat. Eine Nichte reinigt ihre Wohnung und bekommt dafür Geld. Ansonsten kümmert sich niemand um Frau Burckhardt. Ava wird mit ihr nicht recht warm, sie vermutet, dass Frau Burckhardt kein netter Mensch ist und noch nie war. Trotzdem muss sie versorgt werden.
«Wenn wir etwas fahren, kann ich die Heizung anstellen, und dann wird es warm», sagt Ava. «Soll ich fahren, Fadil?»
Fadil zuckt mit den breiten, nassen Schultern. Er hat keine Meinung.
Ava stellt den Motor an. Sie denkt daran, dass sie einkaufen muss und auch die Kinder abholen, weil Danilo in Berlin ist, einen schriftstellernden Physiker interviewen.
«Musst du wieder in den Laden, Fadil?», fragt sie. Fadil schüttelt stumm den Kopf, dabei fallen Tropfen auf seine Beine. Ava reicht ihm Taschentücher aus dem Türfach. Dann fährt sie durch die Stadt, dem Kindergarten entgegen. Sie muss zum Kindergarten, es gibt keine andere Möglichkeit. Das Auto erwärmt sich. Nasse Blätter kleben in Mengen an den Rändern der Straße, erste Lichter in den Stuben, Menschen mit Schirmen und Einkaufstaschen. Alle rennen nach Hause und wollen zu Hause bleiben und es warm haben und sich verkriechen.
Fadil sitzt still neben ihr. Er grinst, wenn sie ihn von der Seite kurz anschaut. Er schnaubt manchmal. Seine Tränen laufen immer noch, vielleicht schwächer, sie kann es nicht genau sehen, sie muss fahren. Sie sagt: «Ich hole jetzt die Kinder, Fadil. Du kannst hier im Auto bleiben, und dann fahren wir zu mir. Danilo ist in Berlin, deshalb muss ich mich drum kümmern. Du kannst bei uns essen, wenn du magst, und dann, wenn die Kinder im Bett sind, können wir reden.»
«Ich kann auch nach Hause gehen», sagt Fadil, mit willenloser Stimme und als könnte er überhaupt gar nichts mehr.
«Klar kannst du das. Aber es ist ja nun mal so, dass es dir nicht gut geht. Du bist mein Freund, Fadil, und es wäre mir lieber, wenn du mitkämst. Ich könnte es nicht gut ab, wenn du so weinend in den Regen rausspazierst. Also, bleib hier sitzen und warte, bis ich so weit bin. Die Kinder werden das schon aushalten, die sind nicht so sensibel, glaube mir.»
Fadil nickt stumm. Er hat kaum Gegenwehr in sich.
Ava steigt aus und knallt die Tür zu. Im Kindergarten überfällt sie eine muffige Wärme. Sie lehnt sich an die Wand. Sie ist müder, als sie gedacht hatte. Sie hat den ganzen Tag hart gearbeitet. Frau Burckhardt ist so schwer zu drehen gewesen und ihre Ablehnung für Ava so schlecht zu ertragen. Am liebsten hätte sie sie angeschrien: «Frau Burckhardt, ich gebe mir solche Mühe mit Ihnen. Ich bin nicht schuld an ihrem Schlaganfall. Niemand ist daran schuld. Ich tue hier nur meine Arbeit, also kommen Sie mir etwas entgegen, Sie bösartige Frau!» Denn bösartig ist Frau Burckhardt. Davon ist Ava überzeugt. Sie macht sich immer extra schwer. Sie legt sich im richtigen Moment falsch hin. Sie pinkelt sogar mit Absicht ein. Sie ist nicht inkontinent. Sie kann sehr wohl auf den Pinkelstuhl gehen. Ava seufzt. Merve kommt aus der Puppenecke angerannt. «Mama, ich will nur schnell noch was machen.»
Ava lächelt. Sie setzt sich auf die Anziehbänkchen und lehnt den Kopf an die kleinen Anoräckchen. Sie fühlt sich für einen Moment völlig kraftlos. Dann steht sie doch auf und holt Merve aus der Puppenecke. Sie ist freundlich und bestimmt. Sie kann das, wenn sie sich anstrengt. «Du kommst jetzt mit, Merve. Es wartet jemand im Auto.»
«Wer wartet im Auto?»
Ava zögert. Die Kinder werden sich freuen und Erwartungen aufbauen.
«Fadil. Aber er hat heute keine Geschenke dabei.»
«Warum nicht?»
«Ihm geht es nicht so gut. Er ist – krank.»
«Ach so.» Merve nimmt ihre blaue Jacke vom Haken und springt allein raus zum Auto, während Ava sich auf die Suche nach Martin macht. Martin sitzt in seiner Gruppe zwischen kleinen runden Holzautos und dicken Legosteinen. Ein anderes Kind mit sabbrigem Gesicht schleudert die runden Holzautos durch das Zimmer, eines nach dem anderen. Martin hält sein Auto fest in der Hand gegen seinen Bauch gedrückt und sieht ihm zu. Martin verfolgt sogar die Flugbahn mit seinen Augen. Ava nimmt
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