Eheroman (German Edition)
ihn auf den Arm und drückt seinen warmen, kleinen Strumpfhosenkörper an sich. Sie riecht, dass er eingekackt hat. Sie trägt ihn zum Wickeltisch, und während sie ihn säubert, muss sie daran denken, dass Merve in das Auto zu dem weinenden Fadil gestiegen ist. Sie wischt und putzt an Martin herum, Martin ist lieb und strampelt nicht und weint nicht, er sieht sie nur an, mit seinen kleinen, klaren Augen, als würde er sie bei allem beobachten. Sie zieht ihn an, wechselt zwei Worte mit der Krippenfrau und eilt nach draußen.
Fadil hat sich in seinem Sitz zu Merve umgedreht, die sich bereits selbst auf ihrem grünen Kindersitz festgeschnallt hat und sehr gerade und interessiert zu Fadil schaut. Fadil lächelt Merve mit seinem feuchten Gesicht an und sagt: «Wenn du erst groß bist, dann ist es auch nicht viel anders.» Sein Lächeln ist zerdrückt. Was dann nicht anders ist, hat Ava nicht verstanden. Sie denkt darüber nach, während sie den immer noch ein wenig stinkenden Martin in seinen Sitz drückt, schnallt ihn an und fährt mit allen zusammen zum Supermarkt. Vielleicht das Traurigsein? Ist das Traurigsein bei Erwachsenen nicht anders als bei Kindern? Doch, denkt sie, doch, doch. Es gibt keinen Trost mehr für Erwachsene, keinen richtigen Trost. Deshalb ist es anders.
«Tut mir leid, einkaufen muss ich auch noch», sagt sie zu Fadil und hält. «Vielleicht können die Kinder im Auto bleiben, wenn du wartest? Dann geht es schneller. Ich pack schnell was ein und bin gleich wieder da?»
Fadil nickt stumm. Die Kinder schweigen. Normalerweise würden sie jetzt heulen. Normalerweise würden sie unbedingt mitwollen. Aber angesichts eines weinenden Erwachsenen ist alles anders.
Sie rast durch die Gänge und packt schnell ein paar Lebensmittel zusammen, Kartoffeln für Kartoffelbrei, Möhren, Kekse, Joghurt, Milch, ein Stück Schweinefleisch, das Stück Schweinefleisch legt sie wieder weg und holt Rindfleisch, weil sie denkt, dass Fadil kein Schweinefleisch isst. Sie wartet ungeduldig an der Kasse, ihr kommt es nicht besonders gut vor, ihre Kinder mit einem weinenden Mann im Auto zu lassen. Aber wenn sie die Kinder mitgenommen hätte und mit ihnen durch die Gänge gegangen wäre, dann hätten sie den Kindereinkaufswagen nehmen müssen und die eine oder andere Investition diskutieren, und es hätte alles sehr, sehr lange gedauert. Zu lange für Fadil und ihre Gastfreundschaft. Bisher musste er nur im Auto sitzen, und sie hat gar keine Zeit für ihn gehabt.
Zu Haus packt sie die Kinder und die Einkäufe aus. Sie setzt die Kinder im Kinderzimmer mit einer Kassette ab und macht sich an das Fleisch und schält die Kartoffeln. Danilo ruft an. Er ist weit, weit weg und hat schon Bier getrunken und pakistanisch gegessen, mit einem Freund aus Berlin, einem Studienkollegen von früher, der was mit Werbung macht und mit Musik.
«Fadil ist hier», sagt sie, während Fadil auf einem Stuhl hinter ihr sitzt, die großen Hände auf dem Tisch, und schweigt. Mehr kann sie nicht sagen. Sie kann nicht sagen, er weint übrigens.
«Schön, grüß ihn», sagt Danilo. Es interessiert ihn gar nicht von Berlin aus, was in ihrem kleinen Zuhause passiert, es ist ihm nicht wichtig.
«Ich soll dich grüßen», sagt Ava.
Fadil nickt. Er ist so still heute. Er weint nicht mehr, aber er ist still. Martin kommt in die Küche getaumelt, die Strumpfhose hängt an den Füßen lang über, immer zieht er die Füße lang, und bleibt vor Fadil stehen. Er sieht ihn eine Weile an, er sieht ihm direkt ins Gesicht, stumm und ernst, und geht dann wieder raus.
Sie essen zusammen, Ava badet Martin und bringt beide Kinder ins Bett. Als sie im matt beleuchteten Zimmer sitzt und den sich im Bett zurechtruckelnden Martin ansieht – er steckt einen Zipfel von der Bettdecke unter seinen dicken Kopf und hält diesen Zipfel ganz fest, seine Augen weit offen, aber sie weiß, immer wenn er die Augen so aufreißt, schläft er schon fast –, ist sie so müde, dass sie am liebsten neben ihn kriechen und seinen kleinen Körper unter der Elefantenbettwäsche an sich drücken und selbst einschlafen würde. Im Wohnzimmer aber sitzt Fadil. Die letzte und größte Verpflichtung des Tages.
Sie geht in die Küche und öffnet eine Flasche Rotwein. Sie trägt zwei Gläser und die Flasche ins Wohnzimmer und stellt sie auf den Sofatisch. Auf dem grünen Cordsofa sitzt Fadil, eingesunken, vorsichtig lächelnd und reglos. Ava gießt ein und sagt: «Was ist nun los?»
Fadil
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