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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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ich werde ihn fragen.»

    «Du bist nicht abbestellt, also musst du wieder hingehen», hat Hartwig gesagt. Sie hatte ihm von der Ohrfeige dann doch nichts erzählt. Was auch? Mit so etwas muss man selbst klarkommen. Was ist schon eine kleine Ohrfeige? Sie wird mit so etwas doch nicht ankommen? Wird sie nicht.
    Herr Bodenegg sitzt angezogen auf seinem Bett und sagt: «Ach gehen Sie doch fort!»
    Sie lächelt. In seinem Schlafzimmer sieht es aus wie in einem Studienzimmer. Dunkle Regale, in denen Leinenrücken, golden bedruckt, sich aneinanderreihen, hohe Sprossenfenster blicken auf die Straße hinaus, von langen dunkelgrünen Vorhängen umrahmt, dunkelrote, fein gemusterte Orientteppiche auf dem Boden in mehreren Schichten, sodass kein Tritt ihrer Füße ein Geräusch verursacht. Alles verhallt sanft und staubig im Alten.
    «Was gibt es Neues?», fragt sie und zieht sich einen Stuhl an sein Bett.
    «Ich war da», sagt Herr Bodenegg.
    «Sie waren da? Sie waren bei der Frau?» Ava schreit fast. «Was hat sie gesagt?»
    «Sie haben mich rausgeworfen.» Herr Bodenegg lehnt sich an die schwarzbraune Rückwand seines Bettes und lächelt zufrieden. Das erste Mal, seit sie ihn kennt, lächelt er zufrieden.
    «Das tut mir leid», sagt Ava.
    «Nein, nein. Ich war da, und der Vater war auch da und saß am Bett. Es war sehr ungünstig, und sie warfen mich raus. Mit Gebrüll warfen sie mich raus. Er warf mich mit Gebrüll raus. Ich sagte ein paar Worte der Entschuldigung und dann … ja. Dann ging ich.»
    Ava schüttelt den Kopf. Es berührt sie kaum, aber sie fühlt sich verpflichtet. «Tja», sagt sie, «so kann es kommen.»
    Herr Bodenegg schüttelt auch den Kopf und legt seine verbundene Hand auf dem Nachtschrank neben sich ab. «Draußen im Gang wartete die Mutter. Sie sagte, es täte ihr leid, mit ihrem Mann. Ich konnte ihr mein Geld anbieten, und sie sagte, es würde der Tochter helfen. Es war eine vernünftige Frau, und das Beste ist …» Herr Bodenegg steht plötzlich von seinem Bett auf, Ava weicht zurück. Er steht in seinem grauen Anzug mit blitzenden blauen Augen auf den zwanzig Teppichen und wagt einige Schritte in Richtung Fenster. Dann dreht er sich um – theatralisch, denkt Ava, und wie dafür geschaffen – und sagt: «Möglicherweise ist die Frau nicht so stark verletzt worden wie anfangs angenommen. Möglicherweise, es besteht eine Chance, wird sie sogar wieder gehen können!»
    Ava denkt, dass Herr Bodenegg bisher noch nie so enthusiastisch gewesen ist und noch nie so viel von seinem Bett herunter war, deshalb fragt sie schnell: «Hätten Sie eventuell Lust, eine Rolle in einem Theaterstück zu übernehmen?»

[zur Inhaltsübersicht]
    Fünfter Teil
    Es ist windig und eisig kalt auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Durch die nass glänzenden Äste einer der am Weg stehenden Rotbuchen scheint eine bläulich weiße Sonne und setzt kalte Glanzpunkte auf die stumpf starrenden Gesichter. Der gefrorene Erdboden ist sauber ausgehoben worden, wie ein Stück Eis aus einem Eiswürfelbehälter. Der helle, polierte Sarg mit den goldenen Beschlägen gleitet in die stille Tiefe, und Jacqueline sieht hinab ohne eine Regung, ohne eine einzige Träne. Erstarrt steht sie in ihrem schwarzen Mantel, der wie ein von der älteren Schwester vererbtes, noch immer zu großes Kleidungsstück um ihren für alle Mäntel der Welt zu kleinen Körper gewickelt ist, mit einem Knoten über dem wulstigen Stoff zusammengehalten, das weiße Haar unter eine braune Häkelmütze gestopft, die Hände in einem rötlichen Pelzmuff verschränkt, am Grab und wackelt kaum wahrnehmbar mit ihrem Köpfchen.
    Vor einem Jahr hat sie ihren kleinen weißen Hund beerdigt, hinten im Garten, mit einer splittrigen Schaufel, die Barbara ihr schließlich aus der Hand nahm, weil Jacqueline mit ihren zittrigen Armen kein vernünftiges Loch in die Erde kriegte. Barbara hatte große und starke Arme gehabt. Barbara hatte einen großen und muskulösen Körper gehabt, aber da war er schon in sich hineingeschoben worden, als würden sich die Knochen zusammenschieben lassen wie der Griff eines Schirms. Die Haut war schärfer um ihr Gesicht gespannt gewesen, und der Kopf hatte sich zwischen die Schultern gesetzt, alles steifer und härter und dennoch im Ganzen aufgequollen und in den Konturen schwammiger und breiter. Dennoch war sie eine kräftige Frau geblieben, gegen Jacqueline, die wie Pergament im Garten herumgeflattert war und leise piepsend vor sich hin geweint hatte,

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