Eheroman (German Edition)
reifglänzend und wohlgeordnet. Merve weht wie eine Tulpe mit ihrem roten Mantel den geraden Weg zurück, mit riesigen Schritten in ihren schwarzen Halbschuhen. Dann dreht sie sich um. «Es war eine schöne Beerdigung, was denkst du?»
Ava zuckt mit den Schultern. «Schön, ja.»
«Nur was?», fragt Merve.
«Ich weiß nicht, was.»
«Es wäre natürlich besser gewesen, wenn sie nicht gewesen wäre, meinst du, wenn Barbara nicht gestorben und die Beerdigung nicht gewesen wäre. Die Beerdigung an sich war aber doch schön.»
«Dass du es immer alles so hindrehen musst.»
«Sie hat es ganz gut gemacht, Ava.»
«Was meinst du?»
«Sie hat es gut gemacht, dass sie diese paar Jahre noch so gestaltet hat. Stell dir vor, du hättest Krebs. Ich weiß nicht, ob ich mich nicht zusammenrollen würde, in meinem Bett zusammenrollen, und das war’s. Die Decke über mich rüber, und das war’s, Ava. Und nie wieder auftauchen. Aber sie hat es anders gemacht, so lebendig, und das ist cool von ihr gewesen.»
«Ich weiß. Ich weiß auch, dass du mir erst gesagt hast, sie sei psychisch krank.»
Merve sieht sich im Gehen zu ihr um, als wollte sie Ava kurz beobachten, um sie genau einschätzen zu können, für diesen einen Moment.
«Hast du Angst, Ava?»
«Wovor?»
«Vor allem, was kommt. Man weiß nicht, was es ist, aber es wird vieles sein, und einiges wird nicht schön sein, und einiges wird schrecklich sein.»
Ava läuft die ganze Zeit hinter Merve her, die fast rennt, mit ihren schwarzen Männerschuhen, viel zu dünn angezogen, sie beeilt sich, neben Merve zu kommen, und fragt dann: «Und du?», ohne eine eigene Antwort zu geben.
«Ja», sagt Merve leise und rennt weiter, starr und ein wenig wütend, wegen ihrer eigenen Angst, wie es aussieht.
Ava glaubt es ihr. Ihr selbst ist dieser Blick verstellt. Sie will keine Angst haben. Sie hat so viel geweint wegen Barbara. Danilo hat geschwiegen und sie nie getröstet. Dass er sich nicht aufgeregt hat, ist seine ihm größtmögliche Großzügigkeit gewesen. Sie hat so viel geweint wegen Barbara, durch die Tage hindurch immer wieder, und hat es dann wieder vergessen und ganz normal gelebt, normal ihre Arbeit getan. Die Kranken sterben, Ava. So ist es hundertmal gewesen. Hundertmal hat sie Kranke gesehen, und immer wieder sind die Kranken gestorben. Die Krebskranken sind oft gestorben. Dass die Krebskranken sterben, ist so ungewöhnlich nicht. Barbara ist letztlich eine Patientin gewesen, weil sie Krebs gehabt hat, so hat sie es versucht zu sehen, weil sie auf Patienten einen anderen Blick hat, und hat versucht, dadurch Vernunft in alles zu bringen.
Dann ist es aber immer wieder durchgebrochen, unerwartet, als sie auf der Toilette saß und sich in Ruhe Gedanken machen konnte, als sie im Keller die Wäsche sortierte, während der Wartezeit beim Kinderarzt, sehr plötzlich ist es immer durchgebrochen, und sie wusste, Barbara ist tot. Es war gar nicht unbedingt der Tod, der sie so traurig gemacht hatte, der Tod war ihr ein so leerer, gesichtsloser Tatbestand. Die Erinnerung an die Fröhlichkeit von Barbara war es, die sie so fertig gemacht hatte. Barbara hatte irgendwann, so ziemlich zum Schluss, bevor sie nur noch lag, in der Küche gestanden und ein Omelett in einer Riesenpfanne für sie alle gemacht und gelächelt. Die Perücke saß seltsam schief auf ihrem Kopf, das orangelila Batikkleid in seinem farbigen Wahnsinn hing wie ein Witz an ihr, und sie hatte gelächelt, die riesigen gelblichen Zähne in ihrem zurückgehenden Zahnfleisch entblößt, und hatte gesagt: «Eier, Jacqueline, bringen uns alle wieder hoch.»
Aber wie sollten die Eier sie noch hochbringen? Das ist der Satz, den Ava in seiner Unsinnigkeit so oft, so oft gedacht hatte, bis sie ihn verflucht hat. Wie – sollten die Eier – sie noch hochbringen?
«Merve», sagt Ava. «Ich bin so froh, dass ich dich habe.»
«Und dass ich nicht tot bin?», sagt Merve.
Ava nickt und lächelt und legt ihren Arm um Merve, dass sich ihr Mantel zusammenrollt und um ihren Körper faltet.
«Ich kriege immer solche Angst bei so was wie Beerdigungen», sagt Merve wieder.
«Ich weiß», sagt Ava.
Als sie beim Auto ankommen, sehen sie weiter hinten Konstantin in seinen Wagen steigen. Er hebt die Hand. Er steigt nicht ein.
«Konstantin», sagt Merve und klopft ihren Schuh am Auto ab, um einen Batzen angeklebter schwarzer, alter Blätter zu lösen.
Ava nickt.
«Willst du nicht rübergehen?»
Ava zuckt mit den
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