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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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während sie der Beerdigung eines Hundes beigewohnt hatten. Der kleine weiße Hund war an der gleichen Krankheit gestorben wie Barbara.
    Barbara war viele Jahre mit dem Krebs herumgelaufen und hatte wechselnde Perücken getragen und Theater gespielt, als wäre der Krebs ihr egal. Zur Uraufführung von «Das Schwein, das Schaf und die Lampe» kamen neun Gäste. Zur nächsten Aufführung kamen über dreißig. Barbara hatte einen schmalen, langgestreckten dunklen Raum angemietet, Theaterräume müssen langgestreckt und dunkel sein, hatte sie ihnen erklärt, sie müssen riechen (das «riechen» hatte sie hineingegrölt in den Raum wie eine alte Diva, und Ava hatte mit Merve genervt geguckt und sich lustig gemacht), nach Holz und nach Schweiß. Sie hatte Leute für das Theaterspielen begeistert, Leute, die mehr Talent als Ava und Merve hatten. Barbara ist als Schauspielerin anders gewesen, als sie als Mensch war, als Schauspielerin ist sie so, im besten Sinne, normal und wenig exzentrisch gewesen, dass Ava klargeworden war, dass Schauspielerinsein ihr eigentliches Menschsein war. Es spielte gar keine Rolle, ob Barbara tatsächlich eine so gute Schauspielerin gewesen war, früher, im Theater. Merve und sie und eigentlich alle waren von ihr als Schauspielerin hingerissen gewesen. Selbst Jacqueline war von ihr hingerissen gewesen, von Barbara, auf die sie ständig wütend war. Außer ihr hatte niemand gewusst, dass es alles nur noch eine gewisse Zeit andauern und dann vorbei sein würde. Ava hatte immer von sich geglaubt, gut in Menschen hineinblicken zu können, sie hatte gedacht, sie würde ahnen und wissen, wie es um sie stünde, weil sie so viel mit Menschen zu tun hatte und mit Krankheiten, aber Ava hatte nichts gewusst und nichts gemerkt. Sie hatte Barbara mit kurzen roten Haaren die Straße entlanggehen sehen, damals, als sie aus dem Haus von Konstantin gekommen war, und sie hatte sich nichts dabei gedacht, als Barbara beim nächsten Mal wieder langes graues Haar hatte. Sie hatte gemeint, eine andere Barbara gesehen zu haben, obwohl es eine andere Barbara nicht hätte geben können. Ava hat sich im Nachhinein gefragt, ob sie es da nicht schon gewusst, aber dieses Wissen nicht in ihr frisches, neues Schauspielerinnenleben hatte hineinlassen wollen.
    Barbara hatte sich lange gewehrt. Bestrahlungen und Chemo und Heilpraktiker und Handaufleger, alles hatte sie probiert. Am Ende hatte sie nur noch Jacqueline gehabt, die bis zum Schluss wütend auf Barbara gewesen ist, vor allem aber, weil Barbara starb.
    Ava steht neben Merve. Merve trägt einen dunkelroten Wollmantel, der ein wenig zu weit ist, und Merves schwarze Strumpfhosenbeinchen hängen aus dem Mantel heraus wie die Glieder einer Marionette. Merve verfolgt mit glänzenden Augen über der scharfen Nase die Bewegung des Sarges. Ihr dünnes Gesicht ist weiß wie Milch, unter den Augen hat sie feine lilagrüne Mulden. Ihr Mund steht leicht offen und atmet Wölkchen in die Kälte. Eine Menge Leute sind noch da, die Ava nicht kennt. Verwandte in teuren Kleidern. Viele ältere Leute. Leute von der Theatergruppe. Sie sagten immer «Gruppe». Sie hatten keinen Namen. Oder der Name war «Gruppe». Links bei den Blumen steht Konstantin Bodenegg in einem halblangen schwarzen Mantel, die Schultern hochgezogen, einen Kranz in den Händen, und runzelt die Stirn. Konstantin mag solche Abläufe nicht, denkt Ava. Er ist ungeduldig, und er mag keine künstlichen Abläufe. Er will alles selber steuern und entscheiden. Und dennoch hat er sich sein Leben lang solchen Abläufen unterworfen. Er ist Anwalt gewesen, wie sein Vater und dessen Vater schon vor ihm. Er hat sein Leben lang in einer Kanzlei auf einem Stuhl gesessen und überlegt gehandelt und geredet, so wie es die äußeren Umstände erforderten.
    Der Sarg ist in der Tiefe verschwunden. Die Grube wird zugeschaufelt. Die Arbeiter klopfen die gefrorenen Erdbrocken mit dem Spaten klein und schieben sie auf die Grube zu, auf Barbara zu. Aber Barbara ist schon lange tot und merkt nichts von Erde und Kälte und Dunkelheit. Die Sonne hat sich hinter der Rotbuche hervorgeschoben und beleuchtet jetzt strahlend hell den Vormittag, als würde es bald warm werden und als würde es bald Frühling werden. Als würde alles von vorne beginnen. Die Sehnsucht und die Freude. Die Möglichkeiten.
    Ava stolpert hinter Merve den Friedhofsweg zurück. Der Friedhof ist so gigantisch groß und schön, denkt sie, in seiner eisigen, blattlosen Würde,

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