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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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stellt ihr Fahrrad ab. Sie braucht es nicht in den Keller zu bringen, sie will es später noch benutzen. «Tag», sagt sie, und Herr Schultetee dreht sich um. Sein Gesicht sieht aus wie kurz vor einem Schlaganfall. «Sollten Sie nicht lieber in den Schatten?», fragt Ava. «Sie sehen schon ganz komisch aus.»
    «Im Gesicht oder was?», fragt Herr Schultetee und fasst sich mit der Hand in das rotglühende Gesicht und streift sich prüfend über die wülstigen Wangen.
    «Ja. Das kann man doch abends machen, wenn hier Schatten ist.»
    «Hast du auch recht», sagt Herr Schultetee und richtet sich auf. «Man ist auch manchmal wie bescheuert.» Er betrachtet das Beet, das halb bearbeitet ist, halb trocken und verunkrautet. Dann winkt er ab. «Interessiert doch auch keinen.» Sein Blick geht aber rüber zu dem genau gleich großen Stück Beet der Nachbarn. Es besteht nur aus Rasen, genau wie der Garten hinter dem Haus. Der Rasen aber ist beschnitten und dicht wie ein frisch gesaugtes Stück Teppich. Ava denkt sich, dass Herr Schultetee den Nachbarn zeigen will, dass er es besser hinbekommt, mit Blumen und allem. Seine Phantasie und Lebensfreude sollen sich darin ausdrücken. Aber er macht sich fast tot damit. Um jeden Preis Blumen im Garten und Rehe und Springbrunnen, das ist doch bescheuert. Dann lieber Nazirasen und einmal rübermähen und fertig, oder? Ava denkt drüber nach und schüttelt den Kopf. Das ist es auch nicht. Alles ist schwierig wie schon immer. Herr Schultetee hat auch recht, weil er diesen Trotz hat. Er nimmt den Eimer und seufzt und zieht die Gummiüberschuhe auf der Vortreppe aus, obwohl sie sauber und trocken sind. Seine blauen Socken schneiden in das weiße Fleisch unter seiner Jogginghose, und er schlurft vor Ava durch den Flur in seine Wohnung.
    Ava geht die Treppe hoch in ihr Zimmer und legt sich auf das Bett, das Fenster weit geöffnet. Von draußen das Summen von fernem Verkehr und das Schimpfen der Spatzen. Der Rest des Tages wird immer schwerer, obwohl sie sich dagegen wehrt und sich einredet, dass es leicht sein wird und vielleicht sogar lustig.
    Um neunzehn Uhr steht sie in einem weiten gelben Jerseykleid mit Pferdeschwanz und pinkfarbenen Lippen vor dem Rathaus und dreht sich ständig in alle Richtungen, weil sie nicht weiß, von wo Danilo kommen wird. Sie überlegt, wie lange sie warten soll, falls er nicht kommt. Zehn Minuten? Reichen zehn Minuten? Kann man dann gehen? Oder zwanzig? Muss sie eine halbe Stunde warten, um selbstverständlich gehen zu können? Sie sieht auf ihre kleine weiße Armbanduhr, es ist noch nicht einmal ganz sieben. Sie ist zu früh und nicht er zu spät. Sie lehnt sich an den Brunnen mit der nackten, kleinen Mondgöttin über sich, das strahlende Rathaus dahinter, der Platz voller schlendernder Leute, die Steine glühend heiß. Kinder knien am Brunnen und recken ihre Arme in die Wasserstrahlen. Ava sieht ihnen eine Weile zu und hält ihre Hand ebenso ins Wasser. Der Strahl zerteilt sich und spritzt ihr Kleid nass. Wie blöd. Wie sieht sie jetzt aus? Aber die Nässe auf ihrem Kleid kühlt sie und macht ihr irgendwie Spaß. Wenn er nicht kommt, wird sie den Arm noch weiter ins Wasser halten und sich ihr Gesicht benetzen und noch nasser werden und zufrieden nach Hause gehen. Aber im selben Moment wird ihr bewusst, dass sie enttäuscht wäre, wenn er nicht kommen würde, sie wäre überhaupt nicht zufrieden, denn er hätte sie und ihren freundschaftlichen Entschluss sitzengelassen, und sie wäre nicht ein bisschen froh darüber.
    Über dem Platz fliegt weit oben ein Flugzeug und lässt spät ein Geräusch auf sie herabfallen, wie ein leichtes Gewitter. Sie sieht, wie der zarte Kondensstreifen sich zerteilt und wolkig wird und im Himmel zergeht. Die Feuchtigkeit auf ihrem Kleid trocknet. Sie sieht sich um und beobachtet die Leute, und dann steht Danilo vor ihr, er hat sich von ihr unbemerkt von irgendwo aus dem Nichts genähert und lächelt und steht da und sagt «Na». Er trägt einen sehr hellen grauen Anzug über einem weißen T-Shirt, er ist fünfzehn und trägt einen richtigen Anzug, er ist so dünn, und der Anzug hängt an ihm wie an einem Kleiderbügel, sein gelocktes Haar ist kürzer geschnitten, das Haar wie eine getrimmte Rasenfläche, eine Sonnenbrille auf den Augen, er sieht so aus wie, wie … Sie muss so grinsen, sie kann es sich nicht verkneifen, die Lippen tun schon weh, so verzerrt sich ihr Gesicht bei seinem Anblick. «Du siehst aus wie … Ich weiß

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