Eheroman (German Edition)
kommst du denn nach Hause?»
Er zuckt mit den Schultern. «Interessiert mich nicht. Ich bleibe einfach hier sitzen, bis morgen ist. Oder übermorgen oder nächste Woche.»
«Ich nicht.»
«Ich weiß.»
Sie würde es gern ändern. Sie hätte gerne, dass er «Liebling» sagt und nicht «Ich weiß».
«Ich seh voll bescheuert aus in dem Anzug, nicht?», sagt Danilo.
«Nein. Gar nicht», sagt Ava und verbeißt sich das Lachen und das Weinen. Und dann legt sie ihre Arme um ihn, sie kann seine Traurigkeit nicht aushalten, nie würde sie seine Traurigkeit mehr aushalten können, und sie küsst ihn, und er legt seine Arme um sie und küsst sie, und sie küssen sich hundert Stunden lang, bis es hell wird und Ava nach Hause rasen muss, weil sie arbeiten muss, und alles rast an ihr vorbei und fühlt sich so heftig an, die kühle Morgenluft, die Vögel, die schreien, als ginge es um Leben und Tod, und ihr Gehirn ist vollkommen am Rasen, und ihr Leben erscheint ihr wie ein gewaltiges, verbotenes Abenteuer.
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Zweiter Teil
In Avas Schlaf hinein knallt es, ein langgezogenes Gestöhne folgt, ein Gerumpel und ein Schleifen und Knirschen wie von Scherben. Ava wühlt sich unter der verschwitzten Federdecke hervor und setzt sich auf. Die Sonne bahnt sich staubtaumelnd ihren Weg durch die blau-weiß geblümten Ikea-Gardinen, die sich wie matte Segel vor den angekippten Fenstern bewegen, unentschlossen, gleißende Spalten nach draußen aufreißend, wo die Sonne heiß auf den Tag brennt und ein leichter Wind dem angekündigten Gewitter vorausgeht. An solchen Vormittagen ist nicht gut schlafen, sie hat Nachtschicht gehabt und ist gegen neun ins Bett gegangen, als Danilo endlich den Kassettenrekorder ausgestellt hat und mit seiner abgeranzten Ledertasche in die verfluchte Schule verschwunden ist. Sie starrt auf den kleinen aufgeklappten Reisewecker auf dem Schrank neben ihrem Bett. Es ist 13:10 Uhr, sie ist so müde, ihr Kopf ist schwer, wie von innen stramm aufgeblasen, in seiner engen Schädelhöhle, und ihre Netzhaut ist von einer schlierigen Schicht bedeckt. Sie wischt sich die Augen aus, als über ihr das Knirschen wieder losgeht. Die Geräusche, die sie gerade geweckt haben, dringen im Nachhinein in ihr Bewusstsein und verbinden sich mit einem Gedanken, der sich zu Wörtern auf ihre Zunge rollt: «Die Muschifrau.»
Ava springt aus dem Bett, zieht die auf der Erde liegende blassgelbe Jogginghose über ihr Nachthemd und tappt die Treppe zur Muschifrau hoch. Sie klingelt und klingelt und klingelt noch einmal und beschließt, sich den Schlüssel geben zu lassen, für alle Fälle und das nächste Mal. Sie wartet, sie hört Geräusche, die sich nähern. Sie hört jemanden vor sich hin reden, das ist die Muschifrau, das macht die so. Dann öffnet sich die Tür, und die Muschifrau steht da und redet immer noch, «… das is man klar, das sage ich doch, wie das da rumsteht, alles aufeinander. Elke. Das ist nicht gut gestanden so. Das hat so keinen festen Halt. Nun isses Unglück da …»
«Frau Jacobs?»
Die Muschifrau hat ein blutüberströmtes Gesicht, Blut läuft über ihre braune Bluse und ihre Kittelschürze. Dass sie so redet, beunruhigt Ava erst einmal nicht, weil sie immer so redet, mit Elke, ihrer Schwester, von der sie wohl weiß, dass sie tot ist. Aber das hält die Muschifrau nicht davon ab, mit ihr zu reden. Einunddreißig Jahre lang hat sie jeden Tag mit Elke geredet, nun redet sie weiterhin mit Elke, so oder so, es ist auch egal, für sie und für Elke sowieso, denkt Ava. Aber die Sache mit dem Blut ist vielleicht bedenklich.
«Was ist denn passiert? Sind Sie hingefallen, Sie sind ganz voll Blut?»
Die Muschifrau winkt ab. Von hinten streicht eine Katze um ihre Beine, und die Muschifrau scheucht sie, sich bückend und dabei einmal aufstöhnend, in den Flur zurück. «Ist nichts. Ist nur dämlich, bescheuert, was runtergefallen.» Bei den letzten Worten rutscht ihre Stimme weg, und sie schluchzt einmal auf.
«Ach, Mann», sagt Ava und streicht der alten, dürren Frau über den Kopf und drückt sie in den Flur hinein. In der Wohnung stinkt es nach Katze und Katzenpisse und anderem. Ava schiebt die Muschifrau auf das Sofa im Wohnzimmer und sieht sich die Wunde an. Die Muschifrau hat eine dicke Beule und blutet, aber es sieht nicht gefährlich aus, keine größere Verletzung. Ava holt einen sauberen Waschlappen aus dem Badezimmerschrank und wischt der Frau das Gesicht sauber und legt ihre Beine
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