Eheroman (German Edition)
hoch und legt ihr schließlich den ausgespülten, kühlen Lappen auf die Stirn.
Sie sieht sich in der Wohnung um. In der Küche liegen Scherben auf dem Boden, Mehl und Bohnen und Nudeln, dazwischen dicke Tropfen Blut und Katzen, Katzen, Katzen, die mit mehlverstäubtem Fell und angezogenen Pfoten zwischen den Scherben herumstreichen.
«Was ist denn nun passiert?», fragt Ava, zurück im Wohnzimmer. Die Muschifrau runzelt heftig die Stirn, die ganze Stirn wellt sich wie ein aufgewühltes Gewässer, und der Lappen fällt dabei von ihrem Kopf. Sie richtet sich auf, stellt sich keuchend auf die Beine, und Ava sagt: «Sie sollten lieber liegen bleiben mit der Verletzung am Kopf.»
Aber die Muschifrau latscht mit ihren verbogenen Beinen vor in die Küche, sie lässt sich nie von irgendwem was sagen, das weiß Ava auch schon. In der Küche deutet sie auf den Hängeschrank über der Spüle. «Da is die Muschi hoch, hinter die Gläser, und ich stand hier und wollte sie runterreden, und dann isses alles auf mich runtergekommen.» Sie schlägt die Hände zusammen und lässt die Schultern sinken. «Und wie es hier aussieht. Und die Muschi hat sich so erschrocken. Die Muschi hat so geweint.»
Wer genau die Tätermuschi oder Opfermuschi war, je nachdem, weiß Ava nicht, alle neun Katzen von der Muschifrau heißen Muschi, und wenn sie sie ruft, dann ruft sie «Muschimuschimuschi, Essen gibt’s». Als Ava das Danilo nach dem ersten Besuch bei der Frau erzählte, hat Danilo gelacht, und sie musste auch lachen, sie hatte schon oben bei der Muschifrau das Lachen kaum unterdrücken können, aber dann, als Danilo lachte, kam das zurückgehaltene Lachen aus ihr raus, und sie hatte regelrechte Krämpfe vom Lachen. Danilo sagte ab dann «die Muschifrau» zu Frau Jacobs, und Ava sagte es ab dann, im Stillen, auch so, obwohl sie es einen säuischen Namen findet. Aber sie denkt immer zuerst «die Muschifrau», bevor sie «Frau Jacobs» denken kann. Die Namen schleichen sich so ein, da ist man machtlos, die Leute werden zu etwas, und dann heißen sie so, wie sie sind, wie zum Beispiel die Wörter sind, die sie sagen. Und wenn eine Frau den ganzen Tag hauptsächlich «Muschi» sagt, dann heißt sie so, denkt Ava. Aber ob der Muschifrau die andere Bedeutung und Verwendung des Wortes Muschi bekannt ist, das kann Ava sie nicht fragen, das würde sie sich nicht trauen.
Die Muschifrau ist alt und redet viel so vor sich hin, mit den Katzen und mit ihrer toten Schwester Elke. Sie hat das alles bei sich zu Hause mit den Katzen, mit der Hygiene und besonders mit sich selbst nicht mehr so im Griff. Ava hat das mit Beate besprochen, und Beate hat gesagt: «Da muss man jemanden hinschicken und dann: Katzen ab, Oma ab!» Die Frau, der das Haus gehört, in dem Ava und Danilo, die Muschifrau und noch zwei weitere Parteien wohnen, ist ungefähr genauso alt wie Frau Jacobs und lässt sich kaum noch blicken. So bleibt das Problem bei sich im Haus in seiner eigenen Wohnung, und keiner sagt was. Ava kümmert sich wenigstens irgendwie ein bisschen.
«Ich räum das auf, das geht hopphopp, und Sie legen sich sofort wieder hin! Sofort, sonst rufe ich einen Arzt. Soll ich einen Arzt rufen?», fragt Ava drohend. Das macht die Muschifrau still. Niemand darf hierher. Kein Staat und kein Arzt. Ein Arzt ist wie die Geheimpolizei für die Muschifrau. Ein Arzt spioniert ihren Gesundheitszustand aus, und dann: aus die Maus, dann Muschis ade, ins Tierheim an der Bockelmannstraße für den Rest ihrer Tage, denn wer würde diese alten, humpelnden Katzen noch zu sich nehmen wollen? Ava räumt vorsichtig die Scherben in den Müll, kehrt das Mehl und die Nudeln zusammen und wischt das Blut weg. Dann sieht sie nach der Muschifrau, die gemeinsam mit vier Katzen vom Sofa aus das Fernsehprogramm verfolgt. «So is gut», sagt Ava. «Schön liegen und nicht überanstrengen und immer schön kühlen. Wenn was ist, klingeln Sie einfach bei mir. Ich bin zu Hause.» Dann geht sie und denkt darüber nach, dass es nicht besser werden wird mit der Muschifrau und dass das mittlerweile irgendwie ein bisschen an ihr dranhängt, an Ava.
«Ich weiß nicht, warum du das machst», sagt Danilo und zieht sein schwarzes T-Shirt über den Kopf. Es gibt nichts Schöneres für Ava. Sein T-Shirt bleibt meist hängen, an der Brille, weil er vergisst, sie vorher abzunehmen, an den voluminösen lockigen Haaren, und das verlängert den Augenblick, wo das T-Shirt sein Gesicht verdeckt und sein blasser,
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