Eheroman (German Edition)
musst mit irgendeinem hier drin sein, mit einem Typen, da gibt es manche, die sägen die ganze Nacht und furzen und röcheln und labern die ganze Zeit Scheiße, und viel schneller geht es auch nicht. Nicht sehr. Bei uns wird das kaum gemacht, mit zwei Leuten, nur, wenn es sehr eilt und wenn das ausreichend bezahlt wird. Da müssen dann ja zwei Fahrer bezahlt werden. Das kostet doppelt so viel, das muss erst mal durch die Schnelligkeit ausgeglichen werden. Das muss sich lohnen. Und wahrscheinlich lohnt es sich gerade nicht.»
«Da könntest du ja auch mit einem Lkw mit einem Bett rumfahren.»
«Sicher. Aber die Lkws werden nicht nach den Betten in der Kabine ausgesucht, sondern danach, ob sie für die Fracht geeignet sind, nä?»
«Klar.»
Ava schlürft den Kaffee, und Stulle holt Brötchen von der Raststätte. Sie essen im Lkw, und Ava denkt, dass es ihr jetzt schon vorkommt, als würde sie Jahre in dieser Kabine verbringen und nie mehr an die Luft und auf die Wege kommen.
Durch Belgien fahren sie einfach so hindurch, als wäre es kein richtiges eigenes Land, und in Frankreich wird die Autobahn plötzlich leerer und das Fahren glatter und stiller. Im Radio läuft jetzt traurige französische Musik, und die Autobahn glüht vor Hitze. Die Luft wellt sich, und Ava wird wieder müde. Ihr wird klar, dass sie nun stunden- und tagelang immer weiter hier sitzen wird, und nichts wird passieren. Nur Starren und kurze Gespräche mit Stulle, mit dem sie seit gestern noch keinen Sex hatte. Sonst hatte sie ihn getroffen, um mit ihm Sex zu machen und nebenbei ein wenig zu plaudern und dann schnell und schuldbewusst zu verschwinden. Nun übernachtet sie mit ihm und hat keinen Sex. Obwohl es hier auf dieser Reise legal wäre. Irgendwie jedenfalls. Eine blasse Ernüchterung hat sich in sie eingeschlichen und kann nur mühsam durch Summen und das Erzeugen sinnlos übermütiger Gedanken von ihr niedergehalten werden. Sie hüpft auf ihrem Sessel und versucht, die traurige französische Musik mitzusummen, aber das macht sie nicht eben vergnügter.
Draußen sind nur Sträucher und Abhänge und fast nichts. Denn vor und unter ihnen ist die Autobahn, und niemand wohnt hübsch mit einem Garten an einer Autobahn, und alles Interessante ist woanders.
Stulle biegt auf die Spur für eine Ausfahrt ab und sagt: «So.»
«Fahren wir irgendwohin?», fragt Ava, als würden sie geradeaus auf der Autobahn nirgendwo hinfahren und jetzt, da sie abbiegen, schon irgendwohin. Das kommt so, wenn die Bewegung gleichförmig ist. Das kommt auch so im Leben, denkt sie, wenn man echt ackert, aber es kommt einem vor wie nichts, als würde nichts passieren, obwohl man jeden Tag Sachen erlebt, wo Leute sterben oder einpinkeln oder gesund werden und nach Hause gehen. Aber das ist für Danilo wie Autobahn, und ihr kommt es oft auch so vor. Morgens, wenn sie durch den Eingang geht und in ihre Sachen steigt und den Kaffee trinkt und den Schwung für den Anfang in sich sammelt. Dann ist der Moment, wo sie, fast täglich, auch gerne eine Ausfahrt nehmen würde.
«Das wirst du sehen», sagt Stulle und verlässt mit seinem riesigen Lkw, der gefüllt ist mit Verpackungsmaterial für große Maschinen, die Autobahn und fährt endlich durch ein kleines Dorf, wo graue Häuser zwischen krummen Bäumen stehen, lässt es hinter sich und hält auf dem riesigen Parkplatz eines zwischen Autohäusern und leeren, betonierten Flächen gelegenen Einkaufszentrums. Er dreht den Schlüssel herum, und das Auto ist still. Wie still es ist und wie anders. Ava steigt mit ihm aus dem Wagen. Sie steht auf dem Parkplatz wie betäubt und streckt sich und gähnt, und die Sonne brennt sofort heiß auf ihre Haare. Stulle sagt: «Jetzt ganz schnell. Wir haben nicht viel Zeit.» Und läuft los, in Jogginggeschwindigkeit fast, Ava hinterher, die eingeschlafenen Füße erschrocken, der ganze Körper von den Stunden im Lkw nicht mehr an Bewegung gewöhnt. Aber ihr Herz schlägt schneller und pumpt Blut in ihren Kopf, und sie flitzt hinterher. Sie laufen zum kleinen Dorf mit den grauen Häusern und den krummen Bäumen zurück und biegen kurz vor dem Dorfeingang in einen Weg zwischen Büschen, zwischen Pappeln und Kiefern, durchqueren ein noch nicht ausgewachsenes Wäldchen mit einem einsamen Grabstein für einen französischen Helden, vor dem vertrocknete Blumenkränze liegen, flitzen weiter und bleiben dann stehen, als ein kleiner weißer See vor ihnen liegt und zwischen den Bäumen glitzert.
Weitere Kostenlose Bücher