Eheroman (German Edition)
der Bäckereihütte trägt eine überdimensionale Baseballkappe und murmelt ein paar Worte in ihre Richtung und lächelt mit seinen braunen Stummelzähnchen. Sie versteht es nicht, aber sie kauft sich ein Baguette mit Schinken, so wie die Männer, indem sie auf eins deutet und bezahlt. Sie kauft sich einen Kaffee dazu und setzt sich ein Stück weiter ebenso auf den Betonsockel und kaut und trinkt den brühend heißen schwarzen Kaffee. Alles schmeckt, und während sie da sitzt und kaut, beruhigen sich die Herzen der Männer. Sie nehmen Gespräche auf, die sie vielleicht vorher abgebrochen haben, und Ava hat sich mit dem gleichen Baguette und dem gleichen Sitz zu ihnen gehörig gemacht.
Als sie aufgegessen hat, fühlt sie sich besser. Sie klopft sich die Krümel von ihrem zu kurzen T-Shirt und steht auf und biegt in eine Straße mit modernen, unbewohnt wirkenden Wohnhäusern mit großen Balkonen ein. Sie folgt der Straße zwischen Lagerhallen und Parkhäusern, bis sie vor einer breiten Einfahrt einer riesigen grauen Halle steht. Vor der Halle parken zwei lange Lkws, in denen Schweine quieken. Die Schweine sind zwischen den Kabinen eingequetscht, als wären sie schon jetzt nur noch Fleisch und nicht mehr Leben. Ein Schwein pinkelt auf ein anderes, das weiter unten liegt, das pinkelnde Schwein steht und sitzt fast auf dem liegenden Schwein, das die Augen schließt, als ihm der Strahl über das Schweinegesicht läuft, als würde es weinen. Es ist glühend heiß auf dem Hof, und unter der schwarzen Plane, die oben auf dem aufgeklappten Lkw liegt, dampft die Luft. Die Schweine haben sicherlich Durst, aber wozu brauchen sie Wasser, wenn sie gleich sterben oder schon halb totgetrampelt sind? Die Schweine vom Schweinebauern fallen ihr ein, die dunklen Ställe und der Stolz ihres Schulkameraden Jörg. Jörg hat zugelegt wie sein Vater und bewirtschaftet jetzt fast selbständig den Schweinehof. Er hat eine Frau aus dem Nachbardorf geheiratet, sie ist gerade aus der Schule gekommen, als er sie geheiratet hat, und ein bisschen dumm, sagt Sabine. Und dass sie froh ist, nicht selber den Jörg geheiratet zu haben. Dann säße sie jetzt nämlich im Schweinedreck und würde ihr Leben in Gummistiefeln zubringen und mit den Anweisungen von Jörg, denn so ist der jetzt geworden, großkotzig, nur weil er einen Mercedes hat und die hässliche Hütte von Bauernhaus seines Vaters. Sagt Sabine, die einen Kfz-Händler geheiratet hat, der ebenso großkotzig, aber meistens vergnügt und dem Alkohol nicht abgeneigt ist. Mit ihm hat sich Sabine was Sauberes geangelt, immer in Anzug und Krawatte, und ein modernes Haus haben sie sich gebaut, Flachdach, einen Bungalow, und einen ovalen Pool hinter dem Haus.
Während Ava in der Hitze langsam weitertrödelt, steigt ein Mann in den Lkw und fährt die quiekende, halbtote Ladung weiter hinten auf den Hof, um die Ecke, wo Ava nicht hinsehen kann, wo sich für die Tiere alles zum Schlechten wendet, oder zum Guten, weil es endlich ein Ende hat. Das unten liegende Schwein mit den Tränen im Gesicht wird jetzt sterben, denkt Ava, und Tränen steigen in ihre eigenen Augen. Aber sie selbst ist es, die sich leidtut, denn sie selbst ist hier allein und weiß nicht mehr, zu wem sie gehört, und verbringt ihre Zeit in Bordeaux mit Gedanken an die Heimat in dem verachteten Dorf, aus dem sie kommt.
Auf dem Industriehof steht Stulle und grinst und klettert in seinen Lkw und wieder heraus und hält ihr ein riesiges, in rosa Erdbeerpapier verpacktes Eis hin. Ein riesiges, mit Schokoladensplittern bestreutes Eis. «Hast du schon mal so ein Riesenteil gesehen?», fragt er Ava, und Ava ist so froh über Stulle und sein Eis, dass sie ihn auf den Mund küsst und drückt und ihren feucht verschwitzten Kopf an seine Brust legt.
«Es geht weiter, nach St. Petersburg», sagt Stulle, und Ava sagt: «Was?»
«Das ist von meinem Opa, ein doofer Spruch», sagt Stulle.
«Warum sagst du ihn dann?»
«Weil ich nicht anders kann. Ich muss einfach manchmal das Zeug sagen, das mein Opa sagte, weil er es ständig und immer sagte, als er noch bei uns gewohnt hat. Erst ging es noch, er hat zwar komisches Zeug geredet, aber es ging noch so. Dann ist es immer weniger geworden, was er gesagt hat, insgesamt so, und ist immer dasselbe gewesen. Dann hat er das wenige, was er noch gesagt hat, immer öfter wiederholt. Und er hat es gesagt, als hätt er es noch nie gesagt. Also, er sagt so zu mir: ‹Detlef, ich sag dir mal was …›, und
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