Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
Vom Netzwerk:
Unterhemden und farbige Socken wie ganz gewöhnliche Männer. Das wäre in der Hitze vernünftig. Ava starrt die Männer an, die in einer Traube vor dem Eingang des Busses stehen und rauchen, nur ein paar sitzen bereits in dem lilagelben Reisebus und schauen von oben durch die getönten Scheiben oder blättern in einem Buch oder unterhalten sich. Eine Frau in einem hellen Geschäftskostüm und mit aufgestecktem blonden Haar, sehr schick, sehr elegant, steigt aus einem Taxi, läuft auf die Männer zu, die ihre Zigaretten austreten, Hände werden geschüttelt, dann steigen alle ein und fahren los, die blonde Frau in dem schwarzen Schwarm wie ein Schmetterling. Alles ist sehr ordentlich und fein, wie es geschieht. Alle benehmen sich anständig und elegant und seriös.
    Ava bedauert in diesem Moment, dass ihre Eltern keine religiösen Traditionen verfolgt haben, wenngleich beide immer Mitglieder der evangelischen Kirche waren. Auch sie selbst verfolgt keine religiösen Traditionen. Sie hat es von zu Hause ja nicht mitbekommen. Sie hat es verachtet, wie die Mutter heimlich die anderen beneidete, die am Sonntag an den Fenstern der Eltern vorbeigingen, um die Kirche zu besuchen, und eine Art weihnachtlicher Feierlichkeit in sich trugen, mit ihren ordentlich gebügelten Sachen und dem gekämmten Haar in der hallenden, kerzenleuchteten Kirche. Danilo ist katholisch gewesen, bis er bei seiner Gummistiefel tragenden Mutter auszog und – frei von katholischen Verpflichtungen – bei ihr einzog. So einfach ist es für ihn gewesen, so wenig hat es ihm anscheinend bedeutet. Seine Mutter missbilligt seinen plötzlichen Unglauben und gibt Ava sicherlich einen Teil der Schuld an seinem Atheismus, aber sein Unglauben ist so plötzlich nicht, wie sie vielleicht glauben mag, und Ava hätte ja an seinem Glauben an Gott ebenso wenig wie an seinen Glauben an Hermann Hesse rumändern können. Danilo mag keine Bestimmer über sich, er selbst ist der Bestimmer, so ist es immer gewesen, und deshalb hat er möglicherweise ungläubig, missmutig betend in seiner Kirche gesessen und die Leute verachtet. Das Beichten ist ihm ein großer Spaß gewesen, weiß sie, denn er hat ihr von erfundenen Sünden berichtet, die seine Mutter ihm vorher eingegeben hat, auf dem Weg zur Kirche, wenn er sagte: «Ich weiß nicht, was ich beichten soll, mir fällt schon wieder gar nichts ein.» Dann hat die Mutter, in Panik darüber, dass ihr Sohn ohne Sünde sein sollte, was überhaupt nicht sein konnte, nach Sünden der Woche in ihrem Gedächtnis gekramt und notfalls kleinere Vergehen unnötig aufgebauscht oder auch erfunden. Sie hat ihm gesagt, er hätte ganz sicher Schlimmeres getan, wovon sie nicht wisse, deshalb wäre es schon in Ordnung, wenn er etwas in der Art Schlimmes beichten würde. Es hatte meistens mit Lügen oder Schlagen zu tun. Er schlug Mitschüler und Tiere und beschimpfte seine Mutter. Danilo und Ava hatten mächtig gelacht, als Danilo ein paar der erfundenen Sünden seiner Mutter wiedergab, die sich dann wiederholten, da seiner Mutter irgendwann die Sünden ausgingen und Danilo sie immer weniger ernst nahm, wie das ganze Beichten und die ganze Kirche. Dennoch ist es gefühlsmäßig etwas so Feines, in einer Kirche zu sein, denkt Ava, während die französischen Pfarrer in ihrem Bus auf der Straße verschwinden.
    Vor einem Fabrikgelände, auf dessen Vorplatz viele große Lkws parken und Gabelstapler ihre Kreise ziehen, hoch beladen, mit winzigen, behelmten Menschen, neben dem hohen eisernen Tor und dem Pförtnerhäuschen, steht im verunkrauteten Randstreifen eine Art Hütte, wie eine größere Bushaltestelle, in der ein verrunzelter Mann Bäckereierzeugnisse verkauft und dampfenden Kaffee in braunen Pappbechern. Einige Arbeiter hocken auf dem Betonabsatz, der den Sockel für den Eisenzaun bildet, und schlürfen Kaffee und ziehen den Schinken auf ihren Baguettes mit den Zähnen ab und verlieren dabei Teile des zerschnipselten Salates auf die Erde. Müde und leicht interessiert betrachten sie Ava in ihrer kurzen Jeans und ihrem noch kürzerem T-Shirt. Ava zieht den Rand ihres T-Shirts nach unten, mit der Hose geht das nicht. Ihre Beine sind schön, weiß sie, haben alle gesagt, bisher. Etwas blass noch. Sie hat sich diesen Sommer kaum gebräunt, sie mag das In-der-Sonne-Liegen auch nicht. Aber ihre Beine stehen nackt vor den Augen der Männer, nackt bis hoch an die Oberschenkel. Die Männer kauen und gucken und schweigen. Der verrunzelte Mann in

Weitere Kostenlose Bücher