Eheroman (German Edition)
gesehen. Sie haben über eine Stunde hier rumgehangen, und ihre Jeans, die sie tragen wollte, bis sie ihr vom Körper fallen, ihre Jeans sind an den Rändern unten wie vollgeschissen, und sie ist angemeckert worden, aber wie.
«Fertig?», sagt Stulle.
Sie nickt und steigt auf der anderen Seite ein und fängt an zu flennen.
Stulle fragt nicht, weshalb und wieso, er startet den Lkw und fährt auf die Autobahn. Ava zieht die Sonnenbrille über ihre heulenden Augen und blickt stur nach vorn.
«Wenn die Toilette verstopft ist, dann hat das doch nichts mit dem Türschloss zu tun», sagt Stulle eine Stunde später, und Ava beißt in eine von Stulle geschmierte Käsestulle und nickt. «Das ist doch ein totaler Zufall, dass die Toilette und das Schloss kaputtgehen. Beides zusammen auf einmal.»
«Ja», sagt Ava und findet, dass dieser Käse auf diesem Brot einfach köstlich schmeckt. Vielleicht ist das so, weil sie unterwegs ist, vielleicht schmecken die Stullen unterwegs besser. Besser sogar als Burger oder gekochtes Rasthofessen. Viel echter und nach zu Hause. Zu Hause bei ihrer Mutter und ihrem Vater in ihrer dampfenden Küche neben den Gedichtbänden und dem Rotwein des Vaters. Das Brot auf dem Küchentisch. Die Wurst. Die Schwester. Alle reden. Keiner hört dem anderen richtig zu, alle reden gleichzeitig und kauen und schlucken. Die Mutter über die Nachbarn und die Arbeitskollegen in der Sparkasse und die Kunden und die Angebote, die sie eingekauft hat, den Bus, der zu spät kam und mit einem anderen Fahrer, den sie nicht kannte, und den Anruf von ihrer Mutter, die Avas Oma ist und die sich beklagt hat über ihren Mann, Avas Opa. Die sich immer wieder beklagt, aber niemand sonst darf ein Stück Schlechtes über den Opa sagen. Das ist die Regel. An all das erinnert der in der Wärme schon in den Poren des Butterbrotes versunkene Käse in ihrem Mund. Das Schmerzhafte ist nicht, dass sie die Mutter nicht zum Abendbrot sieht, sie kann die Mutter oft genug zum Abendbrot sehen, am Wochenende, wenn sie nur Lust dazu hat, und die hat sie gar nicht gehabt bisher, das Schmerzhafte ist, dass diese Familie, ihre Familie, mit ihr, Ava, wie sie glücklich ihre Brote aß, am wachstuchbespannten Küchentisch, dass das vorbei ist. Für immer. Sie wird ihre Eltern und deren Küche nie mehr auf die Weise mögen können, wie sie es damals tat. Vor wenigen Jahren. Und wird auch nie mehr so wütend auf sie sein. Alles wird langsam egal.
«Das Schloss habe ich kaputt gemacht», sagt Ava, als sie das Brot aufgegessen, ihre Gedanken abgeschlossen hat und bereit für ein Gespräch ist. «Das Schloss war irgendwie auf eine Art verschlossen, damit keiner in das kaputte Klo geht, und ich habe es mit Gewalt aufgeschlossen, und dadurch ist es kaputt gegangen, und deshalb ist es dann, nach dem Zuschließen, nicht mehr aufgegangen. Weil was abgebrochen war.»
«Du hast es kaputt gemacht.»
«Ja.»
Stulle stellt das Radio wieder ein und pfeift die Lieder mit und beschimpft die Radiomoderatoren und spricht ihnen dazwischen.
Dann, nach einer Weile, sagt er: «Kommt es mir nur so vor, oder stinkt es hier auch nach Klo?»
«Das ist meine Jeans», sagt Ava, «meine Jeans ist eingetunkt, als es übergelaufen ist, da ist sie unten eingetunkt.»
«Ah.»
«Soll ich sie ausziehen?»
«Schön wär es schon, aber es ändert ja nichts. Ausgezogen stinkt sie immer noch.»
«Es ist eklig, ich ziehe sie aus. Ich habe noch eine Hose mit. Ich ziehe die aus und ziehe die andere an.»
Ava zieht sich aus und an und steckt die Jeans in die Tüte, in der ihre schicken Schuhe steckten, die Absatzschuhe. Sie fragt Stulle: «Vermisst du deine Eltern?»
Stulle sagt: «Nein.»
Stulle biegt auf den Rastplatz ein, sortiert sich zwischen einem polnischen und einen holländischen Kollegen und sagt: «Feierabend.» Sein Haar ist verschwitzt, sein Gesicht rot, und seine Augen sind müde. Ava ist auch müde, wobei sie unterwegs ein bisschen geschlafen hat und danach noch müder wurde. Sie steigt aus dem Lkw und streckt sich. Dann steigt sie wieder ein, holt die Tüte mit der Jeans aus dem Fahrerhaus und läuft damit zu den nächsten Rastplatztoiletten. Sie säubert die Ränder mit Flüssigseife und Wasser. Sie drückt und rubbelt die Ränder ihrer Lieblingshose und lässt das Wasser lange über den blauen Stoff laufen, bis es einfach nur noch nass aussieht. Eine Jeans in einem Waschbecken zu säubern ist verhältnismäßig ungewöhnlich, merkt sie an den Frauen, die
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