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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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Geschrei von einem Stück Strand weiter links. Handtücher und schreiende Kinder. Grillgerüche.
    «Schnell», sagt Stulle und hat schon seine Sachen vom Körper gerissen und zwischen die Büsche geschmissen.
    «Mann», sagt Ava, «das ist ja ein See.»
    «Ava, du bist ganz schön pfiffig», sagt Stulle und rennt ins Wasser, mit seinem braunblassen, schlanken Körper, taucht ein und unter und kommt wieder hoch und quiekt und schwimmt auf die Mitte des Sees zu.
    «Schnell», ruft er Ava von dort zu.
    Sie sieht sich um. Zwei Mädchen kommen den Weg zum Strand herunter. Sie tragen Badeanzüge und Handtücher. Ava kriecht hinter die Büsche und zieht sich aus. Ihr Körper ist von klebrigem Schweiß bedeckt. Sie riecht den See, das faulig Lebendige. Langsam watet sie in das unter ihren Füßen schlammig werdende Wasser, und die Kühle schüttelt sie auf eine unerwartete Weise, als würde sie frieren. Dabei ist das Wasser kalt, aber ihr war auf der Fahrt lange so warm und so matt zumute gewesen. Sie kennt das von den Kranken, die lange liegen und dann den ersten Gang zum Klo erleben wie eine Reise. Sie schwimmt an Stulle heran, der prustet und nach ihren nackten Brüsten tatscht. «Mann», sagt Ava, «es ist so schön.»
    «Ich weiß. Ich hab es von einem, mit dem ich mal fahren musste, der kannte sich hier aus, und der hat es mir gezeigt, ganz dicht hier an der Autobahn, wenn man Richtung Paris fährt.»
    «Paris?», fragt Ava. «Wir fahren echt nach Paris?»
    «Ja. Aber nicht nach, sondern durch, und das ist nich so besonders.»
    Ava küsst Stulle im Wasser auf seine nassen dicken Babylippen, weil sie so froh ist, und taucht unter und greift nach seinem winzigen Schwanz. Er zappelt und strampelt, und sie taucht wieder auf und lacht und verschluckt sich und hustet. Sie sieht am Strand die Franzosen, die kreischen und schreien und Ferien haben.
    Stulle schwimmt wieder zurück und setzt sich ans Wasser und raucht und sagt: «Wir müssen gleich weiter.» Er hat sich seine Unterhose über den nassen Po gezogen und sein gelbes T-Shirt an, und alles ist jetzt dunkel gefärbt. Ava bleibt nichts anderes übrig, als das Gleiche zu tun, hätte sie es vorher gewusst, dann hätte sie ein Handtuch mitgenommen, aber so muss sie es nun wie Stulle machen, und ihr T-Shirt kriegt nasse Brustabdrücke. «Das», sagt Stulle und legt eine Pause ein, «sieht echt geil aus, Ava.» Sie verschränkt die Arme über ihren nassen Brüsten, während sie zurückgehen, und denkt an Sex. Aber für Sex ist keine Zeit mehr, sie müssen weiter.
    Stulle ist so vernünftig, er ist so vernünftig und pflichtbewusst in seinem Arbeitsleben und ist auch schon so fertig mit allem und weiß so Bescheid. Wie kann das sein? Es ärgert sie. An Danilo ärgert sie das Gegenteil. Wie kann sie alles an Leuten ärgern und mit nichts zufrieden sein? Aber das Fahren geht weiter. Wie die Schicht im Krankenhaus. Es ist Stulles Schicht. Die Fahrt durch Paris ist langweilig. Die Autobahn voll, sie sieht Autos und Autos und Gebäude, von denen Stulle nicht weiß, was sie sind, und schließlich guckt sie nicht mehr hin, weil es ihr weh tut, dass sie in Paris ist und doch nicht.
    Auf einem Rastplatz hinter Paris übernachten sie. Es ist sehr laut, die ganze Nacht kommen Wohnmobile an, und die Leute steigen aus und gehen zur Tankstelle, um Essen zu kaufen oder Bier, und reden und lachen. Ava kann schlecht schlafen. Sie steigt zu Stulle hoch und quetscht sich mit auf seine Matratze und schmiegt sich an ihn. Er streichelt sie, und sie schlafen miteinander, aber es ist mehr Verpflichtung als Leidenschaft. Es liegt an ihm, sagt sich Ava, denkt aber, es liegt an ihr, weil es mehr das ist, was sie wirklich weiß. Stulle, sie kennt ihn eigentlich gar nicht. Er ist ihr fremd.

    Während Stulle im Gewerbegebiet St. Genès sein Verpackungsmaterial ausliefert, verlässt sie den Industriehof und läuft die Straße auf und ab. Vom alten Bordeaux ist nichts zu sehen. Es gibt Autohäuser, Tankstellen, ein mittelgroßes, und schmuckloses Hotel, aus dessen Eingang eine Reihe französischer Pfarrer gelaufen kommen und in einen Reisebus steigen. Ava steht neben einer Bushaltestelle, sie starrt auf die Pfarrer, das quadratische Hotel und die Autohäuser, und alles wirft in der Abendsonne lange Schatten. Die Pfarrer tragen allesamt ein schwarzes Gewand und schwitzen sicher, wenn sie darunter noch Hosen und Hemden tragen, was wohl anzunehmen ist. Aber vielleicht tragen sie darunter nur Unterhosen und

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