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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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was für ein Idiot!»
    «Aber er könnte doch Geld zahlen wenigstens.»
    «Ich könnte dem noch Geld zahlen. So sieht das aus. Und wenn er wüsste, dass er ein Kind hat, dann würde der sonst was mit dem Kind anstellen. Was der sich so ausdenkt, wer weiß das schon, der ist selbst ein Kind. Ein großes egozentrisches, asoziales Kind.»
    «Du rauchst?», fragt Ava, während sich Merve eine Zigarette ansteckt.
    «Eine, Mann, eine nur!»
    Schweigend trampeln sie durch den Schnee, die Autos spritzen nassen, schwarzen Matsch an sie ran, auf Avas Turnschuhe, in Stiefel kommt sie gar nicht mehr rein mit ihren fetten Waden.
    «Außerdem ist er in Singapur.»
    «Was? Was macht er denn in Singapur? Wohnt der da?»
    Merve winkt ab und zieht tief an ihrer Zigarette. «Er wohnt nicht da. Er macht da was mit Konfuzius, der Spinner! Er is’n Assi. Ich will nicht mehr über den reden, nie mehr, capito!»
    Mehr ist zu dem Thema nicht aus ihr rauszukriegen. Ava macht sich eine Weile Gedanken über den Assi in Singapur, denn wenn einer ein wirklicher Asozialer ist, dann wohnt der doch auf der Straße oder in einer verdreckten Bude und düst nicht in der Welt rum. Oder wie meint Merve das?
    Merve hustet und schmeißt die Kippe auf den nassen Boden und trampelt mit dem Fuß drauf. Dann sieht sie Ava an und sagt: «Ich mag dich eigentlich ganz gern.»
    «So verglichen mit den anderen im Kurs?», fragt Ava.
    «Ja», sagt Merve und lacht alt und dreckig wie eine Barfrau.
    Und in Ava breitet sich eine schöne, warme Feierlichkeit aus. Als wäre sie zu Hause in ihrem Dorf am Deich, während der Wind ein bisschen bläst und die matte Wintersonne hinter den Industriebauten verschwindet.
    «Was machst du jetzt?», fragt Merve.
    Ava zuckt mit den Schultern. Was soll sie tun? Was sie immer tut. Nach Hause fahren, am Küchentisch sitzen, die Uhr ticken hören, Eis essen, fernsehen, ins Bett.
    «Lass uns noch wohin!»
    Und Ava geht mit Merve in eine Kneipe und trinkt ein Beck’s. Und dann ein Tonic-Water und dann ein alkoholfreies Bier. Merve trinkt allerdings drei Bier. Merve ist teils etwas anders drauf als Ava.

    Gegen Ende ihrer Schwangerschaft sitzt Danilo viel zu Haus und schreibt an Semesterarbeiten und trinkt dazu Tee. Er hat sich das Teetrinken angewöhnt, er hat es von Fadil. Er trinkt schwarzen türkischen Tee, den er in einer silbernen türkischen Teekanne zubereitet, das hat er ebenfalls von Fadil. So sitzt er da und trinkt und schreibt und redet wenig, während Ava fernsieht und isst. Es macht ihr ein schlechtes Gewissen, dass Danilo arbeitet, während sie gar nichts tut, außer abwaschen und die Waschmaschine füllen, gelegentlich, während draußen die nasse Kälte tobt, Regen und Schnee und nur zwei Stunden Tageslicht, bevor die Dämmerung hereinbricht und Ava müde werden lässt. In eine orangefarbene Synthetikdecke gehüllt, sieht sie sich die «Lindenstraße» an und weint zwischendurch, wenn es traurig ist. Schniefend holt sie sich ein weiteres Eis oder ein weiteres eingeschweißtes Stück Kuchen. Und wenn sie dick wird? Na, und wenn schon! Dann soll sich Danilo dran gewöhnen oder sich eine andere Frau suchen. Soll er sich doch am besten eine andere Frau suchen. Sie würde ihn ziehen lassen. Eine Frau, die zu ihm passt und Semesterarbeiten schreibt und Referate hält über das, was die da so machen. Über philosophische Sachen. Eine Frau, die dünn ist und ihr braunes Haar unter einem Tuch zusammenbindet und das Tuch hinter dem Kopf knotet und alte, zerschlissene T-Shirts trägt über ihren winzigen, spitzen Brüsten, ihre Lippen leicht geöffnet, ihre Lippen immer leicht geöffnet, vor lauter Nachdenken und Ernsthaftigkeit, ihre Lippen schon ganz spröde vom ganzen Nachdenken … Ava knallt ihren Teller mit dem Vanilleeis von Aldi auf den Tisch. Sie steht auf und geht rüber zu Danilo. Es riecht nach schwarzem Tee.
    «Warum trinkst du immer dieses Zeug?»
    Danilo blickt auf. «Was?»
    «Warum trinkst du immer diesen bescheuerten Tee, Danilo?»
    «Warum soll ein Tee bescheuert sein, Ava, und warum sagst du immer solche Wörter?»
    «Bescheuert? Das ist ein ganz normales Wort. Das hast du früher auch gesagt, als du noch normal warst. Aber jetzt bist du nicht mehr normal, und jetzt kommen dir die normalen Wörter nicht mehr normal vor.»
    Danilo lächelt und legt seinen kühlen Arm um Ava. Er heizt nie in seinem Arbeitszimmer, er braucht einen kühlen Kopf, sagt er, und es ist arschkalt, wo er sitzt und friert und diesen

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