Eheroman (German Edition)
dass er in dem Hängeschrank in der Küche eine angebrochene Flasche Likör finden würde und zwei Schälchen für Salz und für Pfeffer, aber weder dort noch in der ganzen Wohnung sein Geschenk, die nagelneuen Salz- und Pfefferstreuer von WMF. Als stünde dieses ihr unrechtmäßig zugegangene Geschenk – aber unrechtmäßig doch nicht, Ava – ihr als Schuld ins Gesicht gestempelt, so war sie plötzlich verunsichert und zugleich verärgert über ihre Verunsicherung. Sie sagte: «Ich bin von hier drunter, ich wohne hier genau drunter, und ich habe Ihre Mutter gekannt, wir waren … Ich war öfter bei ihr zu Besuch, ich war gerade ein paar Tage weg, und jetzt komme ich wieder, und jetzt war ich gar nicht da, als es passierte.» Sie wollte den Mann vieles fragen, wie man es bemerkt hat zum Beispiel, denn wer besuchte denn die Muschifrau, wenn nicht Ava? Hatte sie lange auf dem Boden gelegen, und hatten die Katzen gehungert und geweint? Oder hatte sie noch jemanden rufen können, bevor sie starb? Die eigentliche riesige Frage aber lautete: Wie konnte das denn passieren, wie konnte sie einfach sterben? Aber Ava schluckte und schluckte wieder und fragte gar nichts mehr. Sie konnte den Mann, den Sohn von der Muschifrau, nicht leiden, schon vom Ansehen her konnte sie ihn nicht leiden. Sie wollte überhaupt nicht weinen. Aber wenn man so etwas nicht will, dann kommt es ganz von allein.
«Mittwoch fünfzehn Uhr an der Soltauer Straße ist Beerdigung», sagte der dicke Mann.
«Nehmen Sie die Katzen?», fragte Ava, und die Tränen rannen so runter, vor dem Mann, der genervt aussah.
«Nee», sagte er und schüttelte den Kopf, «neun Katzen, nee, die gehen ins Heim.»
«Wollen Sie gar keine einzige nehmen?», flennte Ava.
«Nee», sagte der Mann wieder und schüttelte sein dünnes, hellbraun gewelltes Haar. «Sie können sich aber gerne bedienen.»
Ava tappte tränenblind in die stinkende Bude und griff sich die erste der Muschis, die ihr vor die Füße kam. Aus lauter Wut auf den Mann, mehr noch aus Wut als aus Mitleid mit den Katzen, vielleicht hatte die Wut das Mitleid kaschiert, wie auch immer, die alte Katze war direkt in Avas Wohnung gehuscht, schnurrend und pinkelnd und sich erstaunlich leicht fügend in die neuen Umstände und die warme Kuhle auf Avas und Danilos Bettüberdecke.
Und nun, in der Hitze des Nachmittags, unter Bäumen und neben einer scharf rasierten Kirschlorbeerhecke, wird die Muschifrau beerdigt. Sie ist umgefallen und ist tot gewesen. «Sie war sehr krank», sagt der Pfarrer, dem der Schweiß die Stirn runterrollt, «und hat es uns nicht mitgeteilt.»
Sie hat sich nicht behandeln lassen. Sie ist umgefallen und ist tot gewesen. Alles ist nun zu Ende, und acht Katzen sind im Heim in der Bockelmannstraße in Käfigen und kriegen nie mehr Hühnersuppe und nie mehr zittrige Küsse von der Muschifrau. Und Ava lebt, in luftigen, dünnen Sachen, mit blassen Beinen und einer glatten, straffen Haut, die noch viel geküsst und geliebt werden wird, aber irgendwann wird auch sie dort unten in die Erde kommen, ganz allein, wie die Muschifrau, und die anderen werden leben, in luftigen, dünnen Sachen, und schon während ihrer Beerdigung daran denken, was sie noch einkaufen müssen.
Danilo ist nicht mitgekommen. Danilo redet gerade nur wenig mit ihr, aber Danilo hat sie nicht verlassen. Danilo hat es alles irgendwo in sich hingetan, und da liegt es nun und ist da, auch als sie mit Danilo geschlafen hat, ist es da gewesen, und der Sex war heftig und innig und viel besser als mit Stulle. Aber Danilo hat in sich drin, was sie ihm angetan hat und was er ihr nicht so schnell verzeihen wird.
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Dritter Teil
Ava trägt eine hellblaue, mit weißem Kreuzstich bestickte Bluse wie eine Handarbeitsglockenblume über sich gestülpt, die Glockenblume spannt bereits an den Brüsten und wird bald nicht mehr passen. Sie sitzt an ihrem Küchentisch in Hamburg Altona und löffelt Vanillejoghurt und hört die Uhr an der Wand über sich ticken – jede Bewegung des dünnen schwarzen Sekundenzeigers erzeugt ein «Klack» – und denkt, dass alle sich nun amüsieren außer ihr. Samstag Abend. Beate geht heute ins Theater, hat sie ihr am Telefon erzählt, mal was ganz Neues, Kultur. Es liegt an ihrem Freund, der hat was übrig für Kultur. Danilo ist mit Freunden von der Uni in Kneipen unterwegs. Und sie sitzt hier, weil sie aussieht wie ein dickes, unförmiges Tier, und kann nichts trinken, kann nicht
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