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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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bescheuerten Tee trinkt. Ava entwindet sich seinem kalten Arm und geht raus zu ihrem überheizten Fernsehraum, wo das Eis auf dem Tisch schmilzt. «Such dir doch eine andere Frau!», ruft sie ihm vom Flur zu. In ihrem Wohnzimmer läuft der Abspann der «Lindenstraße».
    Das Kind in ihrem Bauch rührt sich nicht, es rührt sich eine ganze Zeit schon nicht, fällt ihr jetzt auf, und Panik streift sie. Sie setzt sich still auf ihren Sessel und wickelt die elektrisch aufgeladene Decke um ihren dicken Körper, aber der Gedanke lässt sie nicht los. Wann hat das Kind sich das letzte Mal bewegt? Wann??? Sie wickelt die Decke wieder ab und läuft in den Flur, wo das Telefon steht.
    «Merve?»
    «Hallo, Ava, wie geht es dir?»
    «Schlecht. Merve, das Kind bewegt sich nicht mehr, das heißt doch nicht, dass es nicht mehr lebt, oder? Bewegt sich dein Kind immer, oder manchmal eine Weile nicht, und wie lange bewegt es sich nicht?»
    «Es bewegt sich jetzt gerade. Aber manchmal bewegt es sich eine ganze Zeit nicht, weil es dann schläft.»
    «Es schläft?»
    «Denke ich mir so. Du schläfst ja auch. Ein Baby ist auch nur ein Mensch, Ava.»
    «Ich weiß. Ich weiß auch, dass es sich nicht immer bewegt. Aber es bewegt sich schon sehr lange nicht mehr.»
    «Seit wann?»
    Ava schweigt. Seit wann hat sich das Baby nicht mehr bewegt? Sie kann sich überhaupt nicht erinnern. Hat es sich heute schon bewegt? Sie glaubt fast, nicht. Und Danilo tippt in seiner kalten Bude Text in seinen Computer und weiß nicht, dass sein Baby vielleicht schon tot ist. Sie sieht es alles vor sich. Und ihre Eltern. Wie sie es ihren Eltern sagt. Wie die Mutter vernünftig sein wird, und wie der Vater vernünftig sein wird, weil das das Beste ist. Man kann immer noch ein neues Kind bekommen. Dieses kennt sie noch gar nicht. Wie soll sie ein Kind vermissen, das sie nicht kannte?
    «Ava, seit wann hat es sich nicht bewegt?»
    «Lange», krächzt Ava.
    «Ja, sicher? Wie lange denn?»
    «Ich habe das Gefühl, es ist gar nicht mehr drin. Es liegt nur ein Klumpen da.»
    «Ava, du spinnst doch.»
    «Man fühlt es doch, wie es um das Kind steht. Das hat doch Hannah Maria gesagt.» Das war ihre Hebamme im Geburtsvorbereitungskurs. Immer strahlend wie eine Sonne, immer Kekse dabei und Tee aus Himbeerblättern. Sie hat Filme gezeigt, wie sich das Baby entwickelt. Und alle haben sich so schrecklich gefreut. Der Kurs war umsonst, alles umsonst. Das Öl, die Dammmassage, das ganze Engagement, umsonst. Ava kommt sich vor wie ein riesiger, angeberischer Dummkopf. Wie könnte auch sie ein Baby bekommen? Petra kann so etwas vielleicht. Aber sie?
    Das Baby tritt. Es tritt gewaltig und dreht sich mit seinem Kopf einmal quer über Avas Bauch. «Merve? Es tritt.»
    «Siehst du? Mach dir nicht immer so viele Sorgen, Mann, du blöde Kuh.»
    «Mach ich nicht.»
    Ava flennt still. Sie schleicht zurück unter ihre Decke, während Danilo sich Gedanken über das Gute und das Richtige macht. Das Baby tritt auch noch während der «Tagesschau» und während Romy Schneider in «Der Swimmingpool» traumhaft schön zwischen Jean-Paul und ihrem alten Freund Henry agiert, obwohl sie ihre Jugend verloren hat, was durch die Anwesenheit der jungen Pénélope noch deutlicher wird. Aber gerade das färbt sie mit so melancholischer Schönheit. Das Baby tritt und rumpelt, als hätte es zwei Tage Treten nachzuholen. Ava denkt, sie wird langsam verrückt, wenn das so weitergeht, alles, wenn es so weitergeht.

    Beate kommt mit Joachim zu Besuch, ihrem neuen, kulturell interessierten Freund aus der Musikbranche. In der Musikbranche ist er vorerst nur als Verkäufer tätig, er verkauft Schallplatten und CDs in einem Laden an der Bardowicker Straße in Lüneburg. In seiner Freizeit probiert er es mit einer Grungeband namens «Dead Stone», dessen Gründer und Bandleader er ist.
    «Dead Stone, komischer Name, find ich», sagt Beate und trinkt von dem alkoholfreien Bier, das Ava im Kühlschrank hatte. Danilo bringt ihr fairerweise immer ebenso viel alkoholfreies Bier mit, wie er für sich an alkoholischem Bier besorgt. Nur trinkt sie nicht so viel davon.
    «Wieso denn komisch?», sagt Joachim und trinkt ebenfalls von dem alkoholfreien Bier.
    «Toter Stein. Ein Stein ist schon von sich aus tot, oder wat?»
    «Das ist eine Metapher, Bea.»
    Ava hustet. Bea.
    «Beate, es zieht sich ganz schön hin mit dem Baby.»
    «Wie immer. Es dauert, was es dauert, Avi.»
    «Es sollte schon da sein. Aber es zieht sich immer

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