Eheroman (German Edition)
Merve.»
«Das machst du nicht!»
«Doch. Das mache ich. Ich habe es rausgequetscht, und jetzt sage ich, wie es heißt. Es heißt Merve. Es kann ja Dana als Zweitnamen haben.»
«Merve Dana Grünebach. Wie klingt das denn?»
«Bescheuert?»
Danilo stützt seinen Arm auf sein Knie und den Kopf auf die Hand und lacht in hohen Tönen wie ein Kastrat. Die kleine Merve zuckt und schnuffelt wie ein kleines Hündchen in ihrem Tuch.
«Ja, nun hast du es», sagt Ava, «du kleine Merve.»
«Sie werden sie nervige Merve nennen», sagt Danilo, erschöpft und fertig mit den Nerven und gerade so zwischen Heulen und Lachen hin und her pendelnd.
«Möglich», sagt Ava und legt das Baby in sein gläsernes Bettchen. «Ich muss mal meine Riesenbinde wechseln. Ich fühl mich richtig eklig.»
Als sie aufsteht, wirft sie einen Blick aus dem Fenster. Draußen liegt noch der schmutzige Schnee, jetzt im gelben Licht der Laternen des Krankenhausgeländes, einst zu Kegeln geschoben, dann angetaut und dann wieder eisgefroren, mit schwarzpunktenen Einschlüssen von Streusand, an den Rändern der rot gepflasterten Gehwege neben den schlafenden Rosenbeeten. Draußen ist immer noch Januar, und auf den Straßen liegt noch der graue pappene Silvestermatsch. Aber hier drinnen hat sich ein Zahnrad weitergewälzt. Und das ganze Uhrwerk hat sich knirschend bewegt, und nun ist eine neue Zeit angebrochen. Die Muschifrau fällt Ava ein. Längst verfault in der schwarzen Erde. So wie Ava eines Tages auch, so wie Merve sogar eines Tages auch. Aber ihre Ratschläge bezüglich der Kindererziehung kreisen noch im Raum.
Als sie in einem braunen Ford Taunus von Fadil und Danilo aus dem Krankenhaus nach Hause geholt werden, Fadil am Steuer und Danilo auf dem eingerissenen Kunstledersitz neben ihm, im Radio schreien Tic Tac Toe «Verpiss dich!», ist bereits jemand anderes vor Babymerve neu in die Dachgeschosswohnung in der Harkortstraße zwischen den Bahngleisen und der Holstenbrauerei eingezogen.
Als Ava Tage später die Hausarbeit fast wieder vollkommen in die eigenen Arme genommen hat und mit der feuchten, frisch geschleuderten Wäsche in der blauen Plastikbadewanne den Flur überquert, um sie im Bodenraum aufzuhängen, in ihrem eigenen, ihrer Wohnung zugeteilten Bodenraum, schreckt sie zusammen, weil im staubigen Dunst jemand an ihrem Gläserregal lungert, mit Hut und Stock, und die Wäsche stürzt mit der Babywanne auf den staubigen Holzboden.
«Scheiße, Mann!», sagt Ava, schaltet das Licht an und hat keine Angst mehr, auch wenn ihr Herz noch rast, und sammelt die staubklebige Wäsche wieder ein. Dann hängt sie die Sachen auf die baumelnde, im Zickzack zu lasch gespannte Leine.
Der Mann hat sie schon wieder erschreckt. Zum zweiten Mal. Der Mann mit der im Schritt zerfressenen Hose, zerknittert und im Gesicht eingebeult, aber immer noch im Anzug, immer noch ein Lächeln im ramponierten Gesicht, pünktlich zur Geburt seines Enkelkindes, ihr Schwiegervater.
«Danilo, wieso ist der hier bei uns im Bodenzimmer?» Sie sagt Bodenzimmer, denn es ist ein anständig großes Zimmer und wird für viele Dinge genutzt, jetzt besonders, jetzt hat Danilo einen Schreibtisch hineingestellt, auch wenn es kalt ist, aber kalt ist ihm selten. Denn jetzt ist es manchmal ungemütlich laut in der Wohnung, und Danilo kann sich nicht konzentrieren. Ava kann sich auch nicht konzentrieren, aber für sie ist das auch nicht erforderlich. Ihr Gehirn muss nur kleine Drehungen und Wendungen vollziehen, und das kriegt es ohne besondere Konzentration hin. Wenngleich ihr der eine oder andere Fehler unterläuft. Windeln vergessen. Herdplatte angelassen. Kind zur falschen Zeit gestillt. Vergessen, was sie wollte. Wollte sie was? Vergessen zu essen.
Danilo blickt vom Bett auf, das Buch unter seinem Kopf, er hat kurz mit dem Gesicht auf dem Buch geschlafen, müde immerzu, der arme Junge.
«Was?», fragt er.
«Wieso ist dein Vater bei uns im Bodenzimmer, plötzlich?»
«Ach so. Meine Mutter wollte ihn wegschmeißen.»
Ava setzt sich zu Danilo auf die Bettkante. Merve liegt in ihrem Holzschächtelchen, so sagt Ava, denn es ist ein Holzschächtelchen und steht auf dem Wickeltisch und ist mit etwas Schaumstoff ausgekleidet, und da liegt sie in ihrem Schlafsack und schläft ein Viertelstündchen oder vielleicht länger, aber lange schläft sie nie.
«Wieso wollte sie so etwas?»
«Na, siehst du doch. Er ist alt und kaputt und sieht nicht mehr gut aus. Und lag sowieso im Schuppen
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