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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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ordentlich am Schreien und nicht annähernd so still wie Petras Kinder Jenny und Jonathan, die angeblich nur schliefen und schliefen und dazwischen lächelten. Ava glaubt sogar, dass es so war, denn immer, wenn sie Petra besuchte, dann schliefen oder lächelten die Kinder. Und Markus trank Diätbier in der Küche und lächelte ebenfalls, während die Oldies immer noch sanft das kleine Reihenhaus beschallten.
    Petra deutet es auf ihre Weise. Sie sagt zu Ava, das Kind sei ein exzentrisches Kind und würde wahrscheinlich auf irgendeine Art Künstlerin werden. Sie hält sie mit ausgestreckten Armen vor sich hin und redet über sie und schwenkt sie ein wenig, während Merve die Augen aufreißt, die fremde Frau anstarrt und mit Schreien kurz aussetzt. «Die ist toll. Guck dir das doch an, Ava. Wie dieses Mädchen aussieht. Mit diesem Gesicht, guck doch, was die für ein Gesicht hat. Das ist eine ganz Besondere. Die wird was werden.» Merves Gesichtszüge verrutschen, sie knautscht sich zusammen und stöhnt, und dann ist ein wichtiges Geschäft vollbracht. Petra küsst sie begeistert auf die Wangen und das Köpfchen und den Bauch. «Hat sie schön eingeschissen, hat sie schön eingeschissen, die Süße?»
    Ava kuschelt sich mit angezogenen Beinen auf dem Sofa ein bisschen an ihre Schwester ran, während Petra das stinkende Baby schwenkt, das so verblüfft, dass es immer noch schweigt, mit offenem Mund in das fremde, aber dennoch vertraute Gesicht blickt.

    Während in der Stadt der nasse, schmutzige Frühling einzieht, zieht Danilo auf dem Dachboden ein, der zum Wohnen eigentlich nicht gedacht ist. Er ist zum Abstellen von Gegenständen gedacht, und von den anderen Bewohnern des hohen, alten Hauses wird er auch zum Abstellen von Gegenständen genutzt. Aber Ava und Danilo wohnen als Einzige genau gegenüber dem Dachboden, genau genommen wohnen sie auf einem abgetrennten Teil des Dachbodens, der früher ebenfalls ein richtiger Dachboden war. Es ist der Trockenboden gewesen, hat ihnen die dicke Frau vom Hausmeister, Frau Trautwein aus der Souterrainwohnung, erzählt. Früher wurde die Wäsche auf dem Trockenboden getrocknet, jetzt trocknet die Wäsche in der Wohnung, obwohl das gar nicht erwünscht ist. Es steht im Mietvertrag, dass die Wäsche nicht in der Wohnung getrocknet werden soll. Wo die Wäsche sonst getrocknet werden soll, steht nicht im Mietvertrag. Das sind die Mysterien der Stadt, denkt Ava, wo die Bodenräume und Kellerräume immer mehr in Wohnräume umgewandelt, rückwärtige Hofflächen bebaut oder zugeparkt werden und dann kein Platz mehr bleibt für Wäsche und Ausrangiertes und spielende Kinder.
    Avas Kind beansprucht aber vorerst nur den Platz in der kleinen grauen Holzschachtel, die Danilo gebaut hat, selbst gebaut hat, im Bodenraum, der jetzt sein Arbeits- und Aufenthaltsraum ist. Die Schachtel soll ein Bett sein, sie sieht aber einfach nur aus wie eine große graue Streichholzschachtel, denn das Holz ist recht dünn und das Bett recht klein. Babymerve liegt auch nicht allzu viel in der Schachtel, sie krümmt sich mehr schreiend auf dem Arm ihrer Mutter, die teilnahmslos durch die verschmutzten Fenster auf den blassen Himmel über den Dächern schaut. Sie schuckelt das Baby auf ihrem Arm und schuckelt es, und es kommt ihr vor, als wenn sie es endlos lang schon schuckelt und schaukelt und wiegt, Tage schon und Nächte. Sie schläft fast im Stehen während des Schuckelns und Starrens, während sich Mitleid und Wut stoßweise an die Oberfläche ihrer Wahrnehmung drängen. Warum schreit dieses Kind? Was hat es? Ava weiß es nicht. Sie stillt es alle drei Stunden, sie wechselt ihm die Windel, sie hält es sauber, und sie rennt dreiundzwanzig Stunden am Tag mit ihm im Arm herum, weil es in der Schachtel immer nur gleich schreit. Aber es schläft nicht. Es schreit nur und ist nicht glücklich. Es ist kein glückliches Baby wie die ganzen Babys in der Werbung. Die alle lächeln. Dieses Baby lächelt nicht. «Warum lächelst du nicht?», sagt Ava böse und schuckelt das Kind und läuft zum anderen Fenster und schuckelt und sagt wieder: «Warum lächelst du nicht, du böses Baby?»
    Dann tut es ihr so leid, dass sie «böses Baby» gesagt hat. Sie drückt es ganz fest an sich, die tränennasse Backe an ihre Backe, den Atem aus dem Schreimund auf ihrer Haut und sagt: «Du musst ja nicht lächeln. Nur dumme Babys lächeln.» Dann schluchzt sie selbst und legt Merve auf dem Teppich ab und kocht sich in der Küche

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