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Eheroman (German Edition)

Eheroman (German Edition)

Titel: Eheroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Seddig
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Danilo hat ihn entstaubt, hat ihm eine alte Jeans von sich angezogen, die Jeans zu groß, weil Danilo größer als sein Puppenvater ist, und einen blassen, mottenzerfressenen Wollpullover von sich. Die Mottenlöcher sieht man kaum, weil sie unter dem grauen Jackett vom Vater versteckt sind. Der Vater sagt manchmal etwas. Er sagt: «Beeil dich, faule Frau! Das Kind ist allein!» Es ist nicht so, dass Ava es wirklich hört, sie denkt es nur in ihrem Kopf. Aber dass sie es denkt, das lässt sich nicht verhindern. Sie denkt schon manchmal vorher, bevor sie das Bodenzimmer betritt, dass sie nichts denken will, was der Vater sagt. Gegen ihre Gedanken kann sie aber nichts ausrichten. Josip Androsevich redet, wann und wie er will in ihrem Kopf, in Worten, die sie nie so sagen würde.
    Ava hängt die Wäsche rasch über die Leine, sie nimmt sich nicht die Zeit, alles glatt aufzuhängen, da sie jetzt schnell wieder rüber zu Merve will. Aber Merve sitzt in ihrem Zimmer vor den Steinen, die jetzt hochkant übereinanderstehen, so wie es ihr Ziel gewesen war. Sie hat es geschafft und sieht nur kurz gelangweilt zu ihrer Mutter hinüber. Sie wird selbständig, erkennt Ava erschrocken. Sie kann es schaffen, ihre eigenen unsinnigen Ziele verfolgen, Ava hochmütig ansehen und sie nicht vermissen.

    Zwei Wochen später bekommt Danilo einen Job an der Hamburger Uni, der zwar nicht toll bezahlt wird, die finanzielle Lage aber etwas entspannt. Wenn man eine Zeitlang sparsam bis sehr sparsam lebt, gewöhnt man sich an diese Art, mit Geld umzugehen. Man weiß, welches die billigste Butter ist, der billigste Käse, die billigste Milch. Man denkt daran, das Licht auszuschalten, den Wasserhahn abzudrehen. Man hat sich damit abgefunden, keine Eintrittskarten zu kaufen für was auch immer. Und Kinderkleidung kauft man im Secondhandladen oder im Ausverkauf. Ava hat Babyhosen für drei Mark gekauft, Pullis für zwei und Schuhchen für zwölf Mark. In Danilos Studentenkreisen ist es normal, so zu leben. Ein anderes, ein First-Hand-Leben, ist bürgerlich. Und auch Ava hat es bisher kaum gestört, dass sie wenig Geld zur Verfügung hatten, denn ihre zugige Dachgeschosswohnung ist gemütlich, und sie hat kaum Vergleiche mit Leuten mit luxuriöserer Lebensweise, wenn man von Fadil absieht, der nicht zählt, weil er eine Art Prinz und hauptsächlich an Büchern interessiert ist. Was ihr aber jetzt wirklich fehlt, ist eine neue Bluse, eine neue Jeans, ein paar neue Schuhe, Stiefel vielleicht sogar, zwei, drei T-Shirts und Unterwäsche. Danilos Hosen und Hemden sind allesamt dünnfädrig oder sogar mit kleinen Löchern versehen. Das stört ihn aber kaum. Manchmal sitzt er in seiner Dachkammer, den Mund gespitzt und die Augen zusammengekniffen, und näht eines der Löcher zu, indem er es mit dem Nähfaden einfach zusammenzieht. Dann hat er kein Loch mehr an der Stelle, dann hat er einen Faltenstern. Ava könnte es besser, aber Danilo näht seine Löcher selber zu. Er hat es sich selber beigebracht und ist stolz auf sein Nähenkönnen. Ava sagt nichts dazu. Vermutlich gehören die Faltensterne ebenso zu Danilos außergewöhnlicher Persönlichkeit wie sein Starrsinn und seine Unbeirrbarkeit. Wird sie sich da einmischen, wo sie doch genug zu tun hat? Nein.
    Als das Konto nun langsam aus dem Dispo wieder in ein Guthaben turnt, als Ava ausstehende Rechnungen abbezahlt und es immer noch ein Guthaben gibt, spielt sie mit dem Gedanken, sich ein Kleidungsstück zu kaufen. Eins nur. Ein einziges Kleidungsstück. Sie sagt Danilo nichts davon, denn er hat doch dieses Geld verdient, das sich jetzt bescheiden auf dem Konto ansammelt. Sie gibt doch nur aus. Sie geht jeden Tag zum Supermarkt und zählt die Scheine und Münzen aus dem blauen Portemonnaie der weißbekittelten Kassiererin auf den Verkaufstisch. Jeder Schein tut ihr weh. Wenn es ein größerer Schein ist, dann ist sie sich bewusst, dass etwas in ihrem Wagen zu viel war. Sie sagt nichts von ihren Einkaufswünschen.
    Danilo dagegen kommt eines Tages mit neuen gelbbraunen Schuhen nach Hause. Er kommt direkt mit den Schuhen an den Füßen nach Hause, zieht sie vorsichtig und umständlich aus und stellt sie auf den Dielenboden im Flur der Wohnung. Seine alten, zerlatschten Adidasturnschuhe hat er in einer Plastikeinkaufstüte in seiner Aktentasche stecken, weswegen sich die Aktentasche beult.
    Ava tritt aus der Küche in den Flur, sie sieht die langen gelben Schuhe auf dem Boden stehen, Danilo barfuß in

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