Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
Dicke Muskeln, kleiner Verstand.
Jetzt hatte Agnes den herankommenden Ludolf bemerkt. Sofort hielt sie inne. Ihre Miene war plötzlich wie versteinert.
»Na?« Ludolf legte all seine Abscheu in seine Stimme. »Was macht dein tumber Landsknecht?«
Agnes riss sich zusammen. Sie hatte gewusst, dass er wieder so anfangen würde. Sie versuchte, ganz belanglos zu klingen. »Er ist Hauptmann, falls du es noch nicht bemerkt hast. Und dumm ist er auch nicht. Du kennst ihn halt nicht.«
»Du denn?«
»Sicherlich. Er mag zwar ungehobelt sein, aber wer so viel Unglück erlebt hat wie er, wird eben verbittert. Er erscheint dann für all jene, denen es an Verständnis und Einfühlungsvermögen mangelt, vielleicht als grob.«
Ätzend entgegnete er: »Sicherlich hat er schon Schlimmes erlebt. Immer wenn ihm eine seiner Geliebten gestehen musste, dass sie schwanger von ihm ist.«
Agnes stand mit offenem Mund da und brachte kein Wort hervor. Unbeholfen nestelte sie an ihrer Kleidung herum. Sie hasste es, wenn Ludolf es mal wieder geschafft hatte, sie sprachlos zu machen. Mit dem nichtsnutzigen Besserwisser konnte man einfach nicht vernünftig reden. Ständig musste er alles schlechtreden. Zu ihrem Ärger merkte sie, dass ihr Tränen in die Augen schossen.
»Du… du … du bist hässlich in deiner Eifersucht. Das … das sind alles Geschichten, die ihm Neider angedichtet haben.« Wütend stampfte sie mit dem Fuß auf den Boden.
»Hat er das gesagt? Oder jemand anderes?«
Agnes’ Stimme überschlug sich fast. »Er hat es mir versichert, und ich glaube ihm.«
Inzwischen waren einige Passanten stehen geblieben. Endlich passierte mal etwas! Ein paar Mägde tuschelten und kicherten hinter vorgehaltener Hand über das lautstark streitende Paar. Andere Leute schüttelten nur entrüstet den Kopf und gingen vorüber.
Aber Ludolf war es im Augenblick egal, was sie für ein Bild abgaben. »Er will dich doch nur haben. Und du bist zu dusselig, um das zu bemerken.«
Plötzlich schlug Agnes zu. Sie gab Ludolf eine schallende Ohrfeige. Entsetzt starrten sie einander an. Er war überrascht von ihrer heftigen Reaktion und sie, dass sie die Kontrolle über sich verloren hatte.
»Das … das … wollte ich nicht.« Ihre Stimme zitterte.
Ludolf rieb sich über die prickelnde und rot angelaufene Wange. »Ich bin selbst schuld.«
»Ich habe die Beherrschung verloren.« Sie klang erschrocken.
»Und ich habe dich schon wieder provoziert.«
Verschämt schauten sich die beiden Streithähne um. Die Leute hatten ihren Spaß gehabt und gingen nun wieder ihrer Wege.
»Und was machen wir nun?« Agnes schaute betreten auf ihre Fußspitzen.
Ludolf verzog sein schmerzendes Gesicht. Nach kurzer Überlegung kam er zu dem Schluss: »Wir erledigen unseren Auftrag.«
Sie nickte.
Damit waren die Fronten geklärt und der vorläufige Waffenstillstand vereinbart. Die beiden tauschten aus, wohin sie ihre Ermittlungen gebracht hatten und welchen Verdacht sie hatten. Nachdem sie einige Zeit vor dem Rathaus gestanden und sehr sachlich, aber ziemlich distanziert, miteinander gesprochen hatten, schlug Agnes vor, noch einmal mit der ehemaligen Magd Lyse zu sprechen. Ludolf erklärte sich bereit, mitzukommen. Danach wollten sie dann diejenigen besuchen, die er noch auf seiner Liste hatte.
Schweigsam gingen sie in Richtung Hellingstraße.
Die Magd Lyse
Agnes führte Ludolf über den kleinen Hinterhof in das Haus, in dem die Familie Hus unterm Dach wohnte. Sie stiegen die schmalen Treppen hoch. Oben angekommen wollte Agnes klopfen. Sie hob die Hand, zögerte dann aber einen kurzen Augenblick und ließ sie wieder langsam sinken. Ihr war plötzlich schwindelig geworden. Ihr Herz raste wie wild, hämmerte in ihren Schläfen, sie bekam kaum noch Luft.
»Was ist?« Ludolf sah, wie Agnes mit einem Schlag blass geworden war.
Mit wenigen Worten erklärte sie ihm leise, was am Vortag bei Lyse vorgefallen war. Ludolf sagte lieber nichts dazu, aber er fühlte sich in seiner Meinung über Wolfram nur bestätigt. Stattdessen legte er ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. Agnes verwehrte ihm diese Zutraulichkeit in diesem Augenblick nicht. Sie brauchte jetzt und hier die Hilfe eines anderen Menschen, jemanden, der sie unterstützen würde. Allein schaffte sie diesen Gang nicht.
Schließlich klopfte Agnes doch. Nach einem Moment hörte man ein lautes Gähnen, dann ein Schlurfen, ehe schließlich die Tür geöffnet wurde. Die Magd Lyse stand im Türrahmen. So wie
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