Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
überlassen wollte. Im Falle eines Erfolgs wollten natürlich beide ihren Anteil an der Suche gewürdigt sehen. Ein jeder hing nun seinen eigenen Gedanken nach. Während sich Ludolf gelangweilt die Deckenmalereien anschaute und ein paar Schritte hin und her ging, war Agnes’ Blick ins Leere gerichtet. Sie hatte eine Haarsträhne unter ihrem Kopftuch hervorgeholt und zwirbelte sie gedankenverloren zwischen den Fingern.
Fast hätten die beiden die junge Frau übersehen, die gerade hereinkam. Sie war wirklich hochgewachsen, möglicherweise sogar ein Stückchen größer als Ludolf, dabei im Gesicht sehr hager, sodass ihre stattliche Nase überdeutlich hervorstach. Das Alter stimmte auch. Sie war sehr edel gekleidet und trug einen dünnen Schleier vor dem Gesicht. Mit langen Schritten und gesenktem Kopf ging sie in Richtung des Altars.
»Entschuldigt bitte.« Agnes versuchte unauffällig, sie aufzuhalten. »Seid Ihr Brigitta Bode?«
Die junge Frau blieb abrupt stehen und schaute hoch. Ihre Augen flitzten zwischen den beiden Fremden hin und her, die sich ihr in den Weg gestellt hatten. Sie richtete sich auf und legte ihren Kopf in den Nacken, sodass sie noch größer erschien.
»Wer seid Ihr?« Ihre nasale Stimme klang schnippisch und fordernd. Dies war unverkennbar die Tochter von Anna Bode.
Agnes stellte Ludolf und sich vor und erklärte, welchen Auftrag sie hatten.
»Da solltet Ihr lieber mit meiner Mutter sprechen. Ich weiß nichts.« Damit wollte sie weitergehen, aber Agnes legte ihr vorsichtig die Hand auf den Arm. »Wollt Ihr nicht wissen, was mit Eurem Vater geschah?«
Brigitta schüttelte ärgerlich die Hand ab, sagte »Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen« und ließ die beiden einfach stehen.
Noch ehe Agnes etwas sagen konnte, meldete sich Ludolf zu Wort: »Habt Ihr Angst, dass wir etwas Unangenehmes finden könnten?«
Er hatte mit Absicht lauter als nötig gesprochen. Seine Worte hallten in dem hohen Raum wider. Die wenigen Besucher blickten empört herüber, um zu sehen, welcher Frevler da ihre Andacht störte. Die junge Frau blieb tatsächlich stehen, denn man schaute auch auf sie. Sie machte einen entschuldigenden Knicks in Richtung zweier älterer Frauen, die sie wohl kannte, und kam dann zurück. Ihre Hände hatte sie jetzt oberhalb des Bauches gefaltet. Ludolf lächelte in sich hinein. Genauso hatte gestern ihre Mutter vor ihm gestanden.
Brigitta sprach nun leise, aber es klang eher wie das Zischen einer Schlange: »Das ist eine rein private Angelegenheit. Mein Vater ist tot. Das ist zwar ein großes Unglück für uns alle, aber wir wollen nun in Ruhe gelassen werden. Deshalb möchte ich Euch höflichst bitten, zu gehen. Ihr stört die Gebete der Menschen, die hier Gott suchen.«
»Ein Mord ist nie privat«, antwortete Agnes.
»Und wenn es Selbstmord war?«, erwiderte das Mädchen sofort.
Die junge Nonne staunte nicht schlecht über die Frage. »Ist das Eure Meinung? Dann denkt Ihr aber anders darüber als Eure Mutter.«
Wieder warf das Mädchen den Kopf in den Nacken und antwortete dünkelhaft: »Na, wenn schon!«
»Wie kommt es, dass Ihr anderer Meinung seid?«
»Darf ich das nicht? Ich bin ein eigenständiger Mensch. Der Herrgott hat mir einen eigenen Verstand gegeben. Warum sollte ich gezwungen sein, die Ansichten anderer zu teilen? Warum darf ich nicht meine eigenen Schlüsse ziehen? Meine Mutter denkt halt auf ihre Art.«
Agnes zog die Augenbrauen zusammen. Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie von diesem jungen Ding halten sollte. »Wie meint Ihr das?«
»Ihr habt doch schon mit ihr gesprochen? Dann solltet Ihr das gemerkt haben.«
»Sagt doch offen, was Ihr meint.«
Die Händlerstocher blickte missbilligend auf die Nonne herab. Schließlich antwortete sie: »Sie ist sehr strenggläubig. Anstand und Ehre sind ihr Lebensinhalt. Wäre sie ein Mann geworden, hätte sie sich zum nächstbesten Kreuzzug gemeldet.«
Ludolf mischte sich in das Gespräch ein: »Ihr wisst ja, übermäßig strenger Glaube kann sehr gefährlich sein. Sind Ehre und Ansehen in Gefahr, ist man in der Wahl der Verteidigung nicht mehr zimperlich. Da wird wegen des Verstoßes gegen eins der Zehn Gebote ein anderes leicht gebrochen. Ja, da mag jemand sogar einen anderen töten oder in den Tod treiben, nur damit man selbst sauber und rein dasteht.«
Die Händlerstochter schnaubte hörbar. Die bisher züchtig gefalteten Hände verkrampften sich, sodass die Fingerknöchel weiß hervortraten.
»Ihr
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