Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
hatte.
Der Bürgermeister schaute ein wenig verwirrt. Er verstand nicht, wieso die Krankmeldung eine solche Heiterkeit auslösen konnte. »Wir stören Euren vergnüglichen Morgen nur ungern, aber was habt Ihr zu berichten?«
Ludolf räusperte sich kurz. Zuerst erzählte er, was er vorgestern in der Schänke
Widukind
erfahren hatte, dann berichtete er von der gestrigen Begegnung mit dem Hochzeitsgast. Dieser Mann hatte von den Nachforschungen im Todesfall des Händlers Bode gehört und beschlossen, Ludolf zu sagen, was er wusste. Er hatte nämlich an dem besagten Abend am Nachbartisch gesessen und einiges von der Unterhaltung zwischen Bode und dem rätselhaften Gast mitbekommen. Demnach hatte der Unbekannte gesagt, er sei Henker.
Die Ratsherren riefen erschrocken auf: »Ein Henker? Hier in Minden? In aller Öffentlichkeit? In einer Schänke? Ein Henker hat mit Johannes Bode gesprochen?« Sie redeten aufgeregt durcheinander, waren entsetzt und erzürnt. Es sollte doch hinlänglich bekannt sein, dass sich ein Henker nicht unter das ehrliche Volk mischen durfte. Diese Dreistigkeit musste streng bestraft werden! Streng genommen waren jetzt alle, die in der Schänke gewesen waren, als unehrlich anzusehen. So etwas hatte es noch nie gegeben!
»Meine Herren, bitte!«, der Bürgermeister versuchte verzweifelt, sich Gehör zu verschaffen. »Wir müssen in Ruhe überlegen, wie wir jetzt vorgehen. Bitte beruhigt Euch!«
»Wir müssen den gesamten Rat … äh … einberufen!«, forderte von Leteln.
»Auf jeden Fall. Wir schicken gleich Boten los, damit sich alle Mitglieder des Stadtrats heute um zwei Uhr hier zu einer außerordentlichen Sitzung versammeln. Aber es darf kein Wort dieser Ungeheuerlichkeit diesen Raum verlassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Bevölkerung in Aufruhr versetzt wird. Das wäre uns nur zum Schaden. Immerhin ist ein ehrbarer Händler aus unserer Mitte darin verwickelt.«
Mit seinem Vorschlag erntete er allgemeine Zustimmung. So sollte es geschehen.
»Was wisst Ihr noch?«
Diese Frage war wieder an Ludolf und Agnes gerichtet. Sie hatten voller Erstaunen den Aufruhr unter den sechs Ratsherren beobachtet. Es zeigte sich wieder einmal, wie wichtig Dinge wie Ehre oder Unehre, Ehrlichkeit und Unehrlichkeit doch waren, besonders, wenn es um die Stellung in der Gesellschaft ging.
Henker und all jene, die sich mit Toten oder Töten beschäftigten, hatten das Stigma der Unehrlichkeit, der Unnahbarkeit. Sie wurden von der Gesellschaft gemieden und mussten meistens mit ihrer Familie vor den Toren der Stadt wohnen. Söhne von Henkern konnten ebenfalls nur Henker werden, kein Handwerker wollte sie in die Lehre nehmen. Und die Töchter konnten auch nur innerhalb dieses verrufenen Kreises heiraten. All diejenigen, die engen Kontakt mit einem Henker hatten, wurden ebenfalls unehrlich. Sie verloren ihre Ehre, wurden zu Ausgestoßenen.
»Der Mann, der das gehört hatte, verließ sofort die Schänke. Im Hinausgehen sah er noch, wie auch der Händler Bode voller Panik die Stube verließ.«
»Dann war es also doch Selbstmord«, stellte ein Ratsherr resigniert fest. »Unser verehrter Bode bemerkte die Schande, die ihn getroffen hatte, und wusste nur noch den einen Ausweg, bevor dieses allgemein bekannt wurde. Er tauschte eine geringere Unehre gegen eine größere. Wahrscheinlich das Beste, was er machen konnte. Auch wenn es der Familie am Ende auch nur Schande bereitete.«
Die anderen Händler gaben ihm recht.
Ludolf und Agnes schauten sich fragend an. Irgendwie war die Erklärung nicht schlüssig. Sie dachten angestrengt nach. Schließlich nickten sich beide zu. Sie verstanden sich ohne ein Wort.
»Aber etwas an der Geschichte ist faul«, warf Agnes in die Runde. »Etwas passt nicht.«
Überrascht drehten sich die Ratsherren zu ihr herum. »Was meint Ihr damit?«
»Warum wagte sich der Henker in die Schänke? Er musste doch schon sehr abgebrüht sein. Und nach der Schilderung von Augenzeugen war er sogar mehrere Tage da, hat aber wohl nur mit Bode geredet. Das sieht mir doch ziemlich nach Absicht aus. Warum gerade Bode?«
Ludolf ergänzte: »Wenn es wirklich nur um den Händler ging, dann war das Gespräch beabsichtigt und die Reaktion darauf in Kauf genommen oder sogar beabsichtigt. Dann war es einerseits Selbstmord, aber andererseits auch ein Mord. Ein Auftragsmord.«
Absolute Stille breitete sich im Raum aus. Man hätte das Fallen einer Gewandnadel hören können. Die Ratsherren schauten sich
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