Ehre sei dem Vater (German Edition)
vor
sich. Genau an diesem Tag hatte er als einbeiniger Krüppel das Krankenhaus
verlassen. Seine eigene Familie schien hin und her gerissen zwischen Trauer um
die englische Prinzessin und ungeschickten Mitleidsbekundungen für ihn.
Sie hatten den Hund für ihn angeschafft. Niemand
hatte ihn gefragt, ob er einen Behindertenköter wollte oder nicht. Er war einfach
da und sie erwarteten auch noch, dass er dafür dankbar sein sollte. Anfangs
musste er sich in einem Rollstuhl durch das Haus quälen, was aufgrund der
vielen Hindernisse praktisch überhaupt nicht möglich war, ohne fremde Unterstützung
in Anspruch zu nehmen. Er hatte diese Hilflosigkeit ebenso gehasst wie die
mitleidigen Gesichter seiner Familie. Nichts empfand er jedoch demütigender als
dieses Bitten um Alltäglichkeiten. Am liebsten hätte er sein Leben selbst
beendet, aber nicht einmal dazu schien er in seinem Zustand fähig zu sein. Der
einzige Trost war ihm damals, auch wenn er es bis heute vor niemandem zugegeben
hätte, Ronny. Der Schäferhund war einfach nur da, er öffnete die Türen, ohne
vorher groß dazu aufgefordert werden zu müssen. Es schien, als könnte er die
Bedürfnisse seines Herrls spüren. Kein falsches
Mitgefühl, kein verstohlenes Seufzen, nein, er war ohne große Emotionen einfach
für ihn da. Franz würde sich hüten, vor seinen Angehörigen zu zeigen, wie sehr
er dieses Tier mochte. Sie sollten nicht auch noch stolz auf ihre Bevormundung
sein können.
Nach dem mehrmonatigen Erstaufenthalt in der
Reha-Klinik hatte er die Muskeln seines rechten Beines mühsam wieder auftrainiert , den linken Stumpf durch Lymphdrainage und tägliches
Wickeln von den ärgsten Schwellungen befreit, sodass man die Anfertigung einer
modernen Beinprothese in Auftrag geben konnte. Hatte er sich zuvor fast schon
gefreut auf die wieder gewonnene Unabhängigkeit, so hatte ihn der ernüchternde
Anblick des Behelfs erneut jäh auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Das
Ding sah nicht annähernd so aus, als würde es zu ihm gehören. Dazu kam, dass er
wie ein Kleinkind wieder mühsam die ersten selbstständigen Schritte erlernen
musste. Mit zusammengekniffenen Augen hatte er sich gequält, die Prothese für
immer längere Zeiträume zu ertragen, bis Haut und Gewebe sich an den Schmerz gewöhnten
und er sie ohne Hilfe selbstständig an- und ausziehen konnte. Nie mehr wollte
er die Erfahrung einer unwürdigen Abhängigkeit wiederholen.
Noch heute konnte er seine Frau dabei beobachteten,
wie sie sich beschämt umdrehte, wenn er abends sein künstliches Bein abnahm.
Sie hatte inzwischen Gott sei Dank gelernt, ihn nicht mit aufdringlicher
Hilfestellung zu nerven. Niemals hätte er Anna erlaubt, ihn bei der abendlichen
Pflege seiner Behinderung zu helfen. Er fühlte sich nackt und schutzlos, wenn
jemand seinen abstoßenden Stummel berühren musste. Selbst bei seinen
routinemäßigen Untersuchungen schämte er sich vor den Ärzten.
Doch in diesem Moment war es nicht sein verdammtes
Bein mit den Phantomschmerzen, das ihm den Schweiß auf die Stirn trieb. Barbara!
Irgendetwas war bei der Erziehung seiner Kinder mächtig schief gelaufen. Nicht
genug, dass der Jüngste mit seiner Verdorbenheit ein Schandmal für die gesamte Familie war! Nein, seine Schwester musste ihn auch noch
verteidigen. Genierte sie sich denn gar nicht? Den Vater vor den Kopf zu stoßen
wegen so Einem! Das hatten sie nun
von der ach so modernen, offenen Erziehung seiner Frau. Mit einem leichten
Klaps auf den Hintern war für Anna ja schon der Gipfel der körperlichen
Züchtigung erreicht. Wie hatte sie ihn immer gerügt, wenn er eine kräftige
Tracht Prügel angedroht hatte oder deftige Schimpfworte gebrauchte. „Das ist
überhaupt nicht notwendig!“, hatte sie immer betont. „Was willst du denn machen,
wenn die Prügel nicht mehr ausreichen? Willst du sie etwa umbringen?“ Sie
wusste, dass sie mit solchen Reden sein Gewissen berührte und dass er seinen
Kindern sicher nichts antun wollte, was ihnen schaden könnte. Nein, er wollte
einfach nur anständige Menschen aus ihnen machen. Menschen, die von der Gesellschaft
respektiert werden und angesehen sind. Niemand sollte ihm oder den Seinen etwas
Schlechtes nachsagen können. Das war ihm ja offensichtlich perfekt gelungen!
Nicht genug, dass er selbst ein verdammter Krüppel war. Nein, sein Sohn musste
es auch noch mit seinesgleichen treiben.
Er hatte weiß Gott genug dafür geschuftet,
dass aus der heruntergekommenen, kleinen
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