Ehre sei dem Vater (German Edition)
inzwischen eingeschlafen. „Es ist bestimmt das Beste für sie“, tröstete
Barbara ihren Bruder, der nun nicht mehr damit kämpfte, seine Tränen zurück zu
halten. „Ich wollte euch nur sagen, dass ich morgen früh mit Verena in Richtung
Esslingen starten werde“, schluchzte er. „Wäre ich bloß eine halbe Stunde
früher gekommen! Vielleicht hätte es Mama beruhigt, wenn ich ihr schon vorher
erzählt hätte, dass wir nicht so schnell aufgeben.“
„Schwachsinn!“, schimpfte Barbara. „Es war
ohnehin an der Zeit, dass sie ärztliche Hilfe bekommt. So hätte es nicht weiter
gehen können. Ich werde Mama morgen erzählen, dass ihr bereits auf dem Weg nach
Deutschland seid.“ Sie nahm ihren Bruder in den Arm und drückte ihn. „Danke,
dass du fährst. Ich meine, gerade von dir hätte Vater nicht erwarten dürfen,
dass du dich so um ihn sorgst.“ Julian befreite sich unsanft aus ihrer
Umarmung. „Ich bin vielleicht sogar an allem schuld!“, brach es aus ihm heraus.
„ Red ’ keinen
Unsinn! Du hast mit Sicherheit rein gar nichts damit zu tun! Diese leidige
Sache ist schon viel zu lange her, als dass sein Verschwinden noch Rückschlüsse
darauf zulassen würde.“
„Verjährt ist hier gar nichts! Ich bin nach
wie vor nicht hetero, falls du das vergessen haben solltest!“
„Vorwürfe bringen uns aber nicht weiter!“
Barbara versuchte erneut ihren Bruder in den Arm zu nehmen. Und diesmal ließ er
es geschehen.
Julian wollte als erstes die Adresse von Millner -Rubens herauszubekommen, da man ihm diese Auskunft
am Gendarmerieposten nicht gegeben hatte. Verena
hatte ihn mit stolzgeschwellter Brust belehrt, dass er bei den Germanen keine Stadtgemeinde
und kein Magistrat finden würde. Sie als altgediente (dieses Wort hatte sie
selbst nicht benutzt, weil ihr ganz bestimmt der erste Wortteil missfallen hätte)
Gemeindefee, wusste natürlich über diese Dinge bestens Bescheid. Deswegen waren
sie nun auf der Suche nach einem Ordnungsamt. Zu dritt eilten sie durch die
engen Gassen Esslingens, ohne auf die Umgebung zu achten. Dabei war die kleine schwäbische
Stadt unerwartet schön und das nicht nur, weil das Trio von herrlichem Wetter
empfangen worden war. Bei ihrem ersten Halt in der Innenstadt Esslingens waren
sie umgeben von wunderschönen Fachwerkhäusern, von denen jedes einzelne der zahlreichen
Fenster unzählige Fenstersprossen zu haben schien. Die hölzernen Fensterflügel
waren in bunten Farben gestrichen ebenso wie die Holzverstrebungen im Gemäuer. Normalerweise
wären die Freunde tief beeindruckt gewesen von den prächtigen Bauwerken, doch
heute hatte keiner Augen für Landschaft und Architektur. Viel zu sehr waren sie
auf die Koordination ihrer eigenen schnellen Schritte konzentriert.
Sogar Eva, die sich erst im letzten Moment
dazu entschlossen hatte mitzukommen, ignorierte die liebevoll gestaltete
Innenstadt. Die Architekturbewunderin und Fotografin nahm noch viel weniger
Notiz von ihrer Umgebung als ihre Gefährten. Überhaupt hatte sie sich heute sehr
seltsam verhalten. Julian und Verena hatten beschlossen, zu zweit nach
Esslingen zu reisen, da Eva am Vortag noch keine Anzeichen gemacht hatte, auch
mitkommen zu wollen. Abends hatte Julian sie nicht mehr getroffen, weil er noch
längere Zeit bei seiner Schwester gesessen hatte, um den Fahrplan für seine
Recherchen in Esslingen durchzubesprechen . Gerade als
Verena und Julian in aller Herrgottsfrühe in den Wagen gestiegen waren, kam Eva
plötzlich angerannt, einen großen Plastiksack unter dem Arm, und klopfte ungestüm
an die Scheibe. Sie war noch im Jogginganzug, was an sich ja nichts Ungewöhnliches
war um 7.00 Uhr morgens, aber doch ein wenig seltsam anmutete, wenn man
bedachte, was auf dem Programm stand. Verena versuchte, sich Ihre Enttäuschung
nicht anmerken zu lassen. Der eigenartige Auftritt ihrer Freundin ließ darauf
schließen, dass Eva wieder einmal ziemlich mies drauf war. Trotz ihres eigenen
Stimmungshochs würde es verdammt schwer für sie werden, gleich zwei
niedergeschlagene Personen wieder aufzurichten. Sie hatte ein schlechtes
Gewissen dafür, dass sie selbst so glücklich war. „Nun hab dich nicht so! Eva
hat dich auch vor kurzem erst getröstet!“, ermahnte sie sich. „Wofür hat man
denn Freunde!“ Mit leicht gesenktem Kopf wandte sie sich ihrer Freundin zu, die
noch immer sprachlos neben ihr herging. „Seit heute Morgen, hast du noch kaum
einen Satz gesagt. Was ist denn mit dir los?“, fragte sie. „Geht es
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