Ehre sei dem Vater (German Edition)
nur die „ Burgstefferle “ hochgehen,
dann auf der Burg kurz die herrliche Aussicht auf die Stadt genießen. Danach
brauchen wir nur noch die „ Katharinenstefferle “
erklimmen und in die Flandernstraße einbiegen. Danach geht’s rechts irgendwo
weiter in den Inner-Rothschild-Weg und schon sind wir am Ziel.“ Julian senkte
seinen Zettel, von dem er die Stichworte abgelesen hatte und blickte in Evas hysterisch
aufgerissene Augen. „Das heißt, diese ominösen „ Stefferle “
sind Stufen und wir haben noch ein zweites Mal die gleiche Schikane vor uns?
Wofür gibt es denn Autos, wenn ich fragen darf?“
„Genieß doch einfach den Spaziergang. Du bist
doch sonst dauernd irgendwo zu Fuß
unterwegs, erwiderte Julian mit beleidigtem Unterton. Langsam war er genervt
von Evas Launen. Er hatte gedacht, dass sie mitgekommen war, um ihn bei seiner
Suche zu unterstützen, dabei schien sie nur sich selbst zu bemitleiden. Im
Zeitraffer sausten die vergangenen zwei Wochen an ihm vorbei. Wie konnte Eva
nur so rücksichtslos sein. Er war auf der Suche nach seinem verschollenen
Vater, der ihn ohnehin nicht sehen wollte, hatte seine Mutter dem Krankenhaus
überlassen müssen, kämpfte mit seinem Gewissen, möglicherweise schuld am
Verschwinden seines Vaters zu sein und seine liebe Freundin, dachte nur an sich selbst. Was konnte ihr schon
groß über die Leber gelaufen sein? Ist ein Gedicht misslungen? Hat ihre Mutter
wieder einmal bei ihr angerufen? Beachtete sie etwa ihr imaginärer Liebhaber
nicht angemessen? Oder hatte ihr Bruder Zahnschmerzen? Julian war bewusst
ungerecht, doch sein Gewissen meldete sich bald und ließ ihn einen mitleidigen
Blick auf seine Freundin werfen.
Eva sah ihn bereits durch einen
Tränenschleier an. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, welche katastrophale
Nacht ich hinter mir habe!“, schluchzte sie. Verena, die neben ihr hergegangen
war, nahm sie wortlos in den Arm. „Könnt ihr euch vorstellen wie es ist, wenn
man sich bis auf die Knochen blamiert?“, fuhr Eva schluchzend fort. „Ich mach’
praktisch kaum Mal etwas anderes!“, fiel ihr Verena ins Wort, doch Eva ging
nicht darauf ein. Mit knappen Worten schilderte Sie die Ereignisse des
vergangenen Abends.
Verena schaute kurz zu Julian und wusste, was
er dachte. Hätte Eva doch bloß Hilfe von Ihnen beiden angenommen. Wie konnte
man sich nur so in eine Sache verrennen?! Zu spät - ihr jetzt mit schlauen
Sprüchen zu kommen war sinnlos. Selbst nach dieser Niederlage glaubte sie noch
fest daran, dass Martin nur seine Kinder an seine Frau fesselten. Sonst hätte
er wohl kaum so hart reagiert. Sie hätte während des gesamten Abendessens ein
Leuchten in seinen Augen beobachtet und seine Anspannung gespürt. Sie war
sicher, dass er in Wahrheit viel mehr für sie empfand, als er zugeben wollte.
Sie würde trotz allem nicht aufgeben. Was für ein verdammter Schwachsinn? Wie
konnte sie nur so vernagelt sein? Das Dumme war, dass man ihr in diesem Zustand
auf keinen Fall die Wahrheit sagen durfte. Sie würde nur noch mehr in
Depressionen verfallen. Das wäre schließlich nicht das erste Mal…..
„Sobald wir die erste Etappe an Stufen hinter
uns gebracht haben, machen wir eine kurze Rast auf der Burg und genießen einen
wunderschönen Rundumblick auf die Stadt. Dort werden wir darüber nachdenken,
was als erstes zu tun ist, sobald wir wieder zu Hause sind. Bestimmt fällt uns
ein, wie wir den sturen jungen Mann wieder zur Vernunft bringen können!“, hörte
sich Verena sagen, während sie einen warnenden Blick von Julian auffing. „Ich
weiß selbst, dass ich Schwachsinn daherrede“, dachte sie. „Soll er doch was Schlaueres
sagen, wenn ihm auf die Schnelle was einfällt.“
„Zu allererst müssen wir eine Spur zu Julians
Vater finden!“, sagte Eva plötzlich mit überraschend fester Stimme. Es sah fast
so aus, als hätten Verenas Worte Wunder vollbracht. „Na, wer sagt’s denn!
Julian hätte mit Sicherheit nicht gedacht, dass Eva so schnell auf andere
Gedanken zu bringen ist!“, dachte Verena stolz, während sie Julian mit einem
frechen Augenzwinkern bedachte.
„Schön, dass du wieder unter uns bist, meine
Liebe!“ Julian strich sich mit dem Zeigefinder der rechten Hand elegant eine Haarsträhne
aus den Augen. Dabei wirkte er wie eine Diva. Verena schmunzelte: „Julian
Seidl, du gibst dich schon wieder betont weiblich. Wenn du das vorhin im
Ordnungsamt auch so gemacht hättest, wüssten wir bis jetzt noch nicht, wo
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