Ehre sei dem Vater (German Edition)
der Miene und am
Tonfall ihrer Mutter konnte Barbara leicht ablesen, mit wem sie telefonierte. Die
Hoffnung, mit der sie anfänglich jedes Klingeln des Telefons bedachten, hatte
sich in den letzten Tagen mehr und mehr in Angst gewandelt. Selbst Barbara, die
praktisch nie ans Aufgeben dachte, zuckte bei jedem Anruf zusammen. Die Chance,
Franz lebend wieder zu sehen, schwand mit jedem Tag. Je länger das Telefonat mit
dem Gendarmen dauerte, desto mehr versteinerte sich die Miene von Anna. Barbara
hatte den Eindruck, als würde sie gar nicht mehr hinhören, was am anderen Ende
gesagt wurde. Ohne sich zu verabschieden, legte sie den Telefonhörer auf die
Station und sackte langsam, wie in Zeitlupe, in sich zusammen. Barbara hätte
sich im Nachhinein dafür ohrfeigen können, dass sie im ersten Moment wie
angewurzelt stehen geblieben war. Sie hatte viel zu spät realisiert, dass ihre
Mutter ohnmächtig geworden war und konnte wegen ihrer späten Reaktion nicht mehr
verhindern, dass Annas Kopf hart auf dem Boden aufschlug. Gott sei Dank war sie
gleich danach wieder zu sich gekommen. Mit Barbaras Hilfe war sie dann zum Sofa
gegangen, hatte sich hingelegt und starrte seither reglos an die Decke. Barbara
hatte erst den Arzt verständigt, der sofort da sein wollte und danach noch einmal am Revier angerufen, um in Erfahrung zu
bringen, was ihre Mutter so aus der Bahn geworfen hatte. Beinahe hätte sie schon
wieder laut geflucht, als sie an die Worte des gedankenlosen Gendarmen dachte.
Er hatte ihrer Mutter erklärt, dass er inzwischen mit dem mysteriösen Deutschen
gesprochen hätte und dass der Mann nichts mit dem Verschwinden von Franz Seidl
zu tun hätte. Das sei ein absolut unbescholtener Mann, hatte er noch
hinzugefügt. „Als ob wir jemals gesagt hätten, dass wir ihn als Verbrecher im
Verdacht hätten!“, dachte Barbara verärgert. Man hätte sämtliche Nachbarn und
Bekannte aus der unmittelbaren Umgebung des Vermissten verhört, ohne eine Spur
gefunden zu haben. Mehr könnte man im Moment nicht für die Familie tun. Die
Wahrscheinlichkeit, dass Franz Seidl noch lebte, sei inzwischen beträchtlich
gesunken, hatte der Beamte gesagt und man könnte nur noch abwarten………..
„Das darf doch nicht wahr sein, wo bleibt er
denn!“. Sie warf zum x-ten Mal innerhalb weniger Minuten einen hastigen Blick
auf die alte Pendeluhr an der Wand. Das Uhrwerk machte zu viel Lärm, fand Barbara,
während sie aufmerksam in Richtung Eingangstüre horchte. Eine Klingel gab es
nicht. „Solche Dinger gehören nicht in ein traditionelles Bauernhaus“, hatte
ihr Vater immer gesagt und sich damit durchgesetzt. Dass sie sich dabei
ertappte, von ihrem Vater bereits in der Vergangenheit zu denken, versetzte ihr
einen Stich in der Magengegend. „Er lebt und er wird wieder auftauchen!“, sagte
sie halblaut vor sich hin.
Endlich hörte sie Schritte im Vorhaus. „Hallo,
wo seid ihr denn?“, hallte es im Gang. Es war Julian. Barbara ging ihm einige
Schritte entgegen und schilderte ihm, was passiert war. Julian war inzwischen
ans Sofa gekommen, um seine Mutter zu begrüßen. Sie reagierte mit einem knappen
Nicken, ohne ihn anzusehen. Julian war versucht in Panik zu geraten. Doch
diesmal reagierte Barbara schnell. Sie erfasste seine Hand und führte ihn aus
dem Wohnzimmer. „Lass dir ja nichts anmerken, verstehst du! Wir müssen jetzt
die Starken sein. Der Arzt muss in jedem Moment…“ Noch bevor sie den Satz zu
Ende sprechen konnte, kam er auch schon zur Tür herein. „Gott sei Dank! Warum
hat das denn so lange gedauert?“, sagte sie vorwurfsvoll. Der Mediziner, der
solche Anschuldigungen wohl gewohnt war, gab keine Antwort, sondern kümmerte
sich sofort um Anna. Nach einer raschen Erstversorgung meinte er, dass es am besten
wäre, wenn die Patientin für ein paar Tage zur Beobachtung ins Krankenhaus
gehen würde. Ihr Zustand war zwar nach seiner Ansicht nicht besonders kritisch,
wenn man bedachte, was sie zur Zeit alles durchstehen musste, aber erst einmal
musste abgeklärt werden, ob der Sturz nicht doch zu einer Gehirnerschütterung
geführt hatte und zweitens würden einige Infusionen nicht schaden, um sie
wieder etwas kräftiger werden zu lassen. „Sie werden sehen, dass es ihr in
wenigen Tagen wieder viel besser geht“, sagte er, nachdem er mit seinem Handy
einen Rettungswagen bestellt hatte.
Julian und Barbara standen betreten vor dem
Haus und beobachteten, wie die Rettungsmannschaft ihre Mutter in den Wagen lud.
Sie war
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