Ehre sei dem Vater (German Edition)
nichts mit Begreifen
zu tun. Wenn du hartnäckig genug gewesen wärst, wüssten wir jetzt, was hinter
seinem Geheimnis steckt.“
„Beim nächsten Mal musst du eben mitkommen,
Frau Superschlau“, entgegnete Julian noch immer verschnupft.
„Worauf du dich verlassen kannst! Wir werden
ihn noch heute ein zweites Mal aufsuchen. Du bist sicher auch meiner Meinung,
nicht wahr Eva?“, sagte sie, ohne eine Antwort abzuwarten. „Du willst doch
nicht etwa mit diesen spärlichen Auskünften wieder nach Hause reisen? Was würde Babsi wohl dazu sagen. Sie setzt ihre gesamten
Hoffnungen in uns. Los, Abmarsch, wir versuchen es zusammen erneut!“
Es hatte einiger Überredungskunst bedurft, um
Julian zu überzeugen, dass es verrückt war, zu diesem Zeitpunkt schon zu
kapitulieren. Verena würde nie begreifen, warum Männer so wenig hartnäckig sind.
Bisher hatte sie noch nie einen getroffen, der so konsequent wie sie selbst
ihre Ziele verfolgte. Sicher, in Liebesdingen lag die Sache ein wenig anders,
aber im ganz normalen Leben schöpfte sie immer alles aus, was es auszuschöpfen
gab. Schon allein ihre Neugier war viel zu groß, um vorzeitig aufzugeben. Was
mochte der alte Seidl tatsächlich zu verbergen haben? Die Variante, dass der
Vater mit einer anderen Frau durchgebrannt wäre und Robert Millner -Rubens
tatsächlich der Halbruder von ihm war, hörte sich zwar schlüssig an, war aber
eindeutig zu wenig für diese überzogene Reaktion. Verenas eigener Vater war
auch mit einer anderen Frau liiert, ja er hatte sogar noch zwei weitere Kinder
mit dieser Anderen gezeugt und trotzdem hasste sie ihn nicht. Noch nicht einmal
ihre Mutter war ihm heute noch böse. Sie sagte immer, dass die Beziehung nie
das Gelbe vom Ei war und dass sie, im Nachhinein gesehen, ganz froh darüber
war, von ihm verlassen worden zu sein. Dass sie damals Rachegelüste verspürte,
war ganz klar, aber die Zeit heilt doch sprichwörtlich alle Wunden. Oder doch
nicht alle ? Franz Seidl war schon
immer ein wenig verschroben. Das beste Beispiel dafür war seine harte Reaktion
auf die Veranlagung seines Sohnes. Verena hatte trotz allem immer das Gefühl
gehabt, dass er seinen Sohn insgeheim doch liebte. Sie hatte einmal, als sie
Franz Seidl in einem Supermarkt getroffen hatte, ganz unschuldig nachgefragt,
ob er wisse, wie es Julian ginge und er hatte darauf rasch geantwortet, dass er
ihn leider schon eine ganze Weile
nicht mehr gesehen hätte. Hinterher hatte er sofort das Thema gewechselt, was sie
darauf zurückführte, dass er wohl seinen kleinen „Ausrutscher“ zu spät bemerkt
hatte. „Ein typischer freudscher Versprecher“, wie Verena meinte. Das war
ungefähr ein Jahr nach Julians Umzug nach Graz. Sie schloss aus dieser Reaktion
klar, dass der Sohn für ihn noch nicht abgeschrieben war. Julian behauptete
zwar nach wie vor, dass er damit nur die Schande ein weiteres Mal vertuschen
wollte, aber Verena war sicher, dass der Tag, an dem sich die beiden Männer
wieder versöhnen würden, nicht mehr weit sein könnte. Insgeheim war sie
überzeugt, dass Julian mit der persönlichen Suche nach ihm etwas gutzumachen
versuchte. Wobei es, ihrer Meinung nach, natürlich nichts gutzumachen gab. Wenn
der Vater ihn tatsächlich aus seinem Leben gestrichen hatte, würde auch das
hier nichts daran ändern. Aber was konnte der alte Seidl, oder besser gesagt
dessen Vater, wirklich auf dem Kerbholz gehabt haben? Verena war mit ihren gedanklichen
Nachforschungen noch lange nicht am Ende, als sie bereits am Inner- Rothschildweg vor der Haustüre mit der Nummer 50 standen. Sie
drückte entschlossen auf die Türglocke unter dem mit Efeu bewachsenen
Türschild.
Inspektor Schwarz zog sich einen Stuhl dicht
an seinen Schreibtisch heran und schob einen Stapel Post zu Seite, damit der
soeben festgenommene Mann darauf Platz nehmen konnte. Dieser legte hastig
seinen alten, speckig wirkenden Hut auf die leer gewordene Fläche. Er wirkte
übernervös. Die wenigen graublonden Haare, die ihm noch verblieben waren,
kringelten sich schweißnass auf seiner gerunzelten Stirn. Es war heiß in der
Kanzlei, doch an den Unterarmen des Festgenommenen war deutlich zu erkennen,
dass ihm kalt sein musste. Das unangenehme Quietschen, das die Stille im Raum
durchbrach, stammte von dem Sessel, auf dem er unruhig hin und her rutschte.
Schwarz sah ihm lange und eindringlich in die kleinen graublauen Augen. Sein
Blick wurde nicht erwidert. Der Blick des Mannes rollte hastig von einem Ende
des Raumes
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