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Ehre sei dem Vater (German Edition)

Ehre sei dem Vater (German Edition)

Titel: Ehre sei dem Vater (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa May
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Wohlstand
hatte vor dem Tod nicht Halt gemacht, was nicht hieß, dass die Leute hier ihre
Gräber auch öfter besuchten als die ärmlichere Bevölkerung. Nein, hier war ein
Gärtner angestellt, obwohl Robert Millner -Rubens die
Pflege der Gräber seiner Familie liebend gerne selbst übernommen hätte. So
manches Mal hatte er sich schon über das mangelnde Verständnis des Gärtners für
Farben und Anordnung der verschiedenen Pflanzen geärgert, aber heute
registrierte er das alles nicht. In seinem Kopf kreisten ganz andere
Geschichten: Franz Seidl. Er wollte stille Zwiesprache mit dem Vater halten.
Suchend langte er in seine rechte Hosentasche und holte eine kleine,
orange-gelbe Kerze hervor. Er hasste die schrecklichen roten Dinger, die
ansonsten auf Friedhöfen angezündet wurden, und sein Vater würde sicher auch
lieber etwas Freundliches, Buntes um sich haben. Als er den Docht angezündet
hatte, stellte er die Kerze in den dafür vorgesehenen Windfang und stand stumm
vor dem imposanten Grabmal. Die Inschrift war, der Witterung zum Trotz, noch
immer gut sichtbar. Sogar das kleine Foto, das den Vater als jungen Mann
zeigte, war offenbar so gut in den Marmorstein eingearbeitet, dass ihm die
Feuchtigkeit, die so oft über diesem Landstrich hing, bisher noch nichts anhaben
konnte. Sein Vater hatte zu Lebzeiten immer mit dem Alter gehadert, hat sich
über jede Falte, über jedes Gramm Fett zuviel geärgert,
wie es ansonsten hautpsächlich Frauen zugeschrieben
wird. Das war schließlich auch der Grund dafür gewesen, dass Robert sich für
die jugendliche Fotografie auf dem Grabstein entschieden hatte. Nun brauchte er
den Rat seines direkten Vorfahren. Natürlich war er sich bewusst, dass der gute
Mann nicht mehr direkt zu ihm sprechen konnte, aber hier am Friedhof fühlte er
sich ihm näher als zu Hause in seinen vier Wänden, und schon so manches Mal
hatte er hier bereits eine Lösung für das eine oder andere kleine Problem
gefunden. Aber nun war das Problem von einer ganz anderen Sorte. Es ging nicht
nur um ihn allein. „Warum kannst du jetzt nicht bei mir sein?“, brummte er
halblaut vor sich hin. Als er sich seinen Vater in seiner Situation vorstellte,
wusste er plötzlich, wie dieser entscheiden würde. Er war schon immer ein
Verfechter der Wahrheit gewesen. „Die Wahrheit, und sollte sie noch so
verletzend sein, ist allemal besser als eine verlogene Harmonie“, war einer
seiner Leibsprüche gewesen.
    Sein Blick schweifte abwechselnd vom Foto
seines geliebten Vaters über die leicht schwingenden Äste einer großen Birke im
Hintergrund zu der still vor sich hin brennenden Kerze. Der Gedanke an seine
eigene Vergänglichkeit drängte sich ihm auf. Ein etwas heftigerer Windstoß
erinnerte ihn aber sogleich wieder, warum er hergekommen war. Er überlegte
lange, was seine Enthüllungen für alle Betroffenen nach sich ziehen würden und
wog für sich alle Für und Wider ab.   „Soll der Kerl doch selbst sehen, wie er aus dem Schlamassel wieder
herauskommt. Er hat sich Zeit seines Lebens auch nicht um den anderen Teil
seiner Familie gekümmert, was kümmert also mich sein Schicksal?“, dachte er für einen kurzen Moment. Fast gleichzeitig, so
als würde ihm jemand einflüstern, sagte er halblaut zu sich: „Es würde Franz
ganz Recht geschehen, wenn sein verlogenes Leben endlich in ein anderes Licht
gerückt wird. Wenn seine heile Welt ein Trümmerhaufen ist. Warum konnte er sich
nicht zu seinem Vater bekennen?“
    In diesem Moment stupste etwas an seine
Waden. Erschrocken drehte er sich um. Ein kleiner Dackel sah ihn mit großen,
gutmütigen Augen an, während sein Herrchen im Hintergrund abwechselnd
unbeholfene Entschuldigungen und den Hundenamen des Kleinen rief. Millner -Rubens wandte sich wieder dem Grabmal seines Vaters
zu und setzte seine Überlegungen fort. „Würde ich mir je verzeihen, den Mund
gehalten zu haben, wenn ihm tatsächlich etwas zugestoßen wäre?“ Die Worte kamen
wie ein hysterisches Krächzen über seine Lippen. Plötzlich wusste er, was zu
tun war.

Verena Bach konnte nicht verstehen, warum
Julian nicht noch mehr nachgebohrt hatte. „Das ist wieder einmal typisch
Mann!“, sagte sie. „Wie konntest du Millner -Rubens
verlassen, bevor er dir die ganze Wahrheit gesagt hatte?“
    „Ich habe dir doch gesagt, dass er nichts
mehr preisgeben wollte“, antwortete Julian beleidigt.
    „Wie oft hast du nachgefragt?“
    „Einmal reicht, ich begreife schnell!“
    „Das hat doch rein gar

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