Ehre sei dem Vater (German Edition)
sprechen, worauf alle mit Spannung gewartet
hatten.
Der Aufenthalt in Esslingen war unerwartet
kurz ausgefallen. Die Freunde wechselten während der gesamten Heimreise kaum
ein Wort. Jeder war tief in seine eigenen Gedanken versunken. Julian war nach
der gestrigen Unterredung mit Robert Millner -Rubens
am Boden zerstört. „Unmöglich! Das ist ganz und gar unmöglich!“, hatte er immer
wieder vor sich hingesagt, während er mehr und mehr in sich zusammensackte. Er
konnte das Gehörte nicht verstehen. „Und dafür hat er seinen eigenen Vater vor
seinen Nachkommen, ja sogar vor seiner Frau für tot erklärt“, sagte er nun, da sie beinahe die Heimat wieder
erreicht hatten. Verena, die neben ihm saß, legte nur kurz ihre Hand auf seine
rechte Schulter. „Er war noch ein Kind, als es passierte. Wie sollte er da eine
vernünftige Entscheidung treffen? Ihn selbst kannst du nicht zur Verantwortung
ziehen, viel eher seine Mutter. Ein kleiner Junge lässt den Vater ganz bestimmt
nicht sterben , wegen so einer Geschichte“,
versuchte sie ihn zu trösten. Sie sah, wie Julian erfolglos um Fassung rang.
Nichts von dem, was sie eben zu ihm gesagt hatte, schien angekommen zu sein.
„Ich hätte meinen Großvater so gerne kennen
gelernt. Er hatte nicht dass Recht, ihn uns vorzuenthalten!
Und nun, nun ist es zu spät“, schluchzte er. Die Tränen, die er zuvor noch zu
verbergen versucht hatte, kullerten entfesselt über seine Wangen. „Ich Idiot
habe auch noch versucht, meinen Vater zu suchen! Einen Menschen, wie er menschenverachtender
nicht sein kann. Einen, der mich sowieso nicht um sich haben wollte, nur damit
er weiter in seiner heilen Welt leben
kann, in der rein gar nichts heil ist. Mutter hat sich seit Ewigkeiten nach
seiner Liebe verzehrt, ohne irgendein Zeichen von ihm zu erhalten. Wir Kinder
haben immer geglaubt, schlecht zu sein, nur weil wir ihm nicht perfekt genug
waren! Ich hasse den Mann. Hört ihr, ich hasse ihn!“ Julian war bei den letzten Worten ungewöhnlich laut geworden. Seine
Stimme bebte, wie in der Zwischenzeit der gesamte Körper. Er wurde von
Weinkrämpfen geschüttelt. Seine Freundinnen konnten ihn überreden, beim
nächsten Autobahnparkplatz abzufahren. Er war nicht mehr in der Lage selbst
weiter zufahren.
Nach einer Tasse Kaffee in der Raststation
setzte sich Verena hinters Steuer. Julian hatte sich zwar wieder einigermaßen
gefasst, aber man konnte nicht sicher sein, wie lange dieser Zustand noch
andauerte. Viel zu tief saß der Schock. Obwohl Verena zugeben musste, dass das
jahrelang gehütete Geheimnis sehr naheliegend war, wäre sie selbst auch nie
darauf gekommen. Aber ließ diese neue Erkenntnis auch Schlüsse darauf zu, wo
Franz Seidl abgeblieben war? Für Verena eindeutig nicht. Sie würde erst einmal
Julian nach Hause bringen und danach noch einmal mit Eva über alles reden. Ein
Seitenblick auf Julian sagte ihr, dass er heute bestimmt nicht mehr in der Lage
sein würde, nüchtern über die Situation nachzudenken. Er saß vorübergeneigt, ließ
immer wieder den Kopf zwischen die Hände fallen und starrte dabei auf einen
imaginären Punkt an der Windschutzscheibe.
„Morgen früh werde ich wieder zurück nach
Graz fahren“, sagte er plötzlich. „Ich habe Zeit genug hier verplempert.“
„Sag das nicht, wir sind nun endlich ein
Stückchen weiter gekommen. Wer denkt denn hier schon wieder ans Aufgeben?“
„Ich! Und ihr beiden braucht euch auch nicht
mehr weiter um die Sache kümmern. Seit gestern habe ich keinen Vater mehr!“,
sagte er entschlossen.
„Du bist sauer, das verstehen wir, aber das
ist noch lange kein Grund, den gleichen Fehler wie er nun auch zu machen“, erwiderte Verena, während sie hilfesuchend
in den Rückspiegel sah. Endlich fühlte sich Eva angesprochen. „Wir sind nach
Deutschland gefahren, um zu erfahren, wo dein Vater jetzt ist und das wissen
wir bisher noch immer nicht. Verdammt noch einmal, Julian, was ist, wenn ihm
etwas zugestoßen ist, was, wenn er irgendwo verzweifelt auf deine Hilfe wartet?
Du kannst jetzt nicht einfach alles hinschmeißen, verstehst du?“ Evas Blick
traf auf eine ausdrucklose Miene.
„Es ist vorbei!“, sagte er.
Irgendwann nach drei Uhr war Franz in einen
unruhigen Schlaf gefallen und erwachte kurz vor sechs wie gerädert. Sein ganzer
Körper schmerzte. Er hatte sich ständig von einer Seite auf die andere gewälzt,
unschlüssig, ob er den Überlegungen des Guardians glauben schenken sollte oder nicht. Wurde er von
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