Ehre sei dem Vater (German Edition)
hatte? Franz war völlig
durcheinander. Er musste mit Bruder Markus sprechen, aber solange das Mädchen
mit den langen, dunkelblonden Haaren noch in der Nähe sein konnte, wagte er
sich nicht mehr ins Freie. Dank einer kleinen Klappe in der Tür, durch die in
den letzten Tagen sein Essen gereicht wurde, konnte er sehen, wie einer der
Brüder mit dem Mädchen sprach. Sie machte dabei nervöse Gesten und schließlich
wurde der Guardian hinzugeholt. Beunruhigt beobachtete Franz, wie Bruder Markus
mit dem Mädchen in seine Richtung kam. Er hielt für einige Momente den Atem an,
als er die Besucherin erkannte. „Die kleine Bach! Was hat denn die hier zu
suchen? Doch wohl hoffentlich nicht mich?“ Franz spürte, wie sein Herz
beschleunigte. Er drehte sich um und lehnte sich an die abgeschlossene Tür, so
als wollte er sich noch zusätzlich vor den Ankömmlingen schützen. Er konnte
bereits ihre Stimmen hören, ohne verstehen zu können, was sie sprachen. Plötzlich
entfernten sich die Stimmen wieder. Er wagte einen Blick nach draußen und
konnte gerade noch sehen, wie sie nach rechts abbogen.
Franz musste seine Stellung an der Tür
aufgeben, um die beiden durch ein winziges Fenster an der rechten Seite weiter
im Auge behalten zu können. Sie setzten sich unweit von ihm auf eine Holzbank.
Auf dieser Bank hatte er selbst schon unzählige Male mit den Kapuzinern
gesessen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass hier jemand unangemeldet
auftauchen könnte. Wie töricht von ihm.
Das Mädchen hatte dem Guardian bereits den
Blumenstrauß übergeben. Nun, da sie beide Hände frei hatte, faltete sie die
Hände in ihrem Schoß. Sie sah richtig anständig aus in dieser Haltung, obwohl
man sich nicht viel Gutes im Ort über sie erzählte. Bei diesem Gedanken fühlte
er sich ertappt. Er wurde an seine eigene Stellung in der Gemeinde erinnert.
Was man in der Zwischenzeit von ihm dachte, welche unschönen Gerüchte wohl über
ihn im Umlauf wären? Er kam zu dem Schluss, dass er es gar nicht wissen wollte.
Wahrscheinlich war die kleine Bach gar nicht so übel. Plötzlich überkam ihn der
dringende Wunsch, auf das Mädchen zuzugehen. „Habe ich eine andere Wahl?“,
schoss es ihm durch den Kopf. „Wenn mich die Kleine gesehen hat, ist ohnehin
alles vorbei. Ich muss meine Feigheit besiegen, wenn ich mein weiteres Leben
nicht im Kloster fristen möchte.“ Endlich erkannte er, was in seinem
Unterbewusstsein in den letzten zwei Tagen bereits immer mehr Gestalt
angenommen hatte: Er wollte wieder zurück nach Hause!
Mit zitternden Händen öffnete er das kleine
Eisenschloss an seiner Tür. Bereits zum zweiten Mal überfiel ihn heute ein
Gefühl von Freiheit. Mit Riesenschritten näherte er sich der hölzernen Bank.
„Ich will mich nicht mehr länger
verstecken!“, tönte er in Richtung Marie „Du kannst ruhig jedem erzählen, wo
ich mich aufhalte. Ich werde in wenigen Stunden nicht mehr hier sein.“
Bruder Markus, der eben noch in das Gespräch
mit Marie Bach vertieft war, hielt sofort inne: „Die junge Dame ist nicht
hergekommen, um Sie zu suchen!“, sagte er beruhigend. Doch Franz schien ihn
nicht zu beachten. „Ich habe es satt, hier zu hocken und auf meine Verurteilung
zu warten.
Marie hatte nicht gewartet, bis sie den
Klostergarten verlassen hatte, ehe sie anrief. In knappen Worten schilderte sie
ihrer Mutter von dem Gespräch mit dem Geistlichen, das entgegen ihrer
Erwartungen sehr positiv verlaufen war. Sie war darauf eingestellt gewesen,
einen Vortrag über sich ergehen lassen zu müssen und sich dabei zu fühlen wie
ein geschlagener Hund. Doch der Vorsteher des Klosters hatte nur wenige
mahnende Worte an sie gerichtet und sie danach gelobt für den Mut, zu ihm zu
kommen. Schlussendlich hatte er sogar vorgeschlagen, dass er selbst gemeinsam
mit ihr versuchen würde, den Schaden an der Klostermauer zu beheben. Das
einzige, was dabei an Kosten anfallen würde, wären Materialkosten. Und
natürlich hatte er nicht nein gesagt, als Marie vorgeschlagen hatte,
verschiedene Tätigkeiten für das Kloster zu übernehmen. Sie würde gleich
nächste Woche noch einmal zu Bruder Markus kommen und mit den Arbeiten
beginnen. Verena Bach war noch im Büro und bestimmt nicht ganz allein, aber Marie
spürte auch an ihren knappen Worten, wie sehr sie sich mit ihrer Tochter
freute. Doch das Allerwichtigste sagte Marie ihr erst zum Schluss: Sie hatte
den vermissten Herrn Seidl entdeckt, lebendig und wohlauf. Nun war es vorbei
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