Ehrenhüter
mitnehmen!» Entschlossen stellte sie sich den beiden Beamten in den Weg.
«Seit wann sind Ihr Mann und Roman aus Süddeutschland zurück?» Petersen versuchte, Zeit zu gewinnen.
«Sie kamen spät in der Nacht. Roman hatte schon ganz glasige Augen und erhöhte Temperatur. Aber erst, als ich ihn nachts weinen hörte und zu ihm ging, habe ich bemerkt, dass er Fieber hatte.» Ihre Augen füllten sich mit Tränen. «Sobald er glaubt, dass wir ihn nicht hören, fängt er an zu weinen. Er ist völlig verzweifelt. Mein Gott, ich mache mir solche Sorgen um ihn!»
«Hat er Ihnen gesagt, was genau ihn beschäftigt?», hakte Steenhoff nach.
«Nein, er spricht ja kaum mit uns. Aber wahrscheinlich drehen sich alle seine Gedanken um Nilgün. Erst trennt sie sich überraschend von ihm, dann wird sie tot aufgefunden und Roman erfährt, dass sie von ihm schwanger war …» Erschöpft ließ sie sich auf die Treppenstufen sinken und hielt sich mit einer Hand am Geländer fest. «Wie soll er das verkraften? Es ist furchtbar!» Tränen liefen ihr übers Gesicht. Mit bebender Stimme fuhr sie fort: «Ich erkenne ihn kaum wieder. Er war immer so freundlich und so gut gelaunt. Aber seit dieser Geschichte mit Nilgün redet er nur noch das Nötigste.»
Steenhoff bedeutete Petersen, bei der verzweifelten Frau zu bleiben. «Ich gehe jetzt zu Roman, Frau Rodewaldt. Keine Sorge, ich werde nicht unnötig lange bei ihm bleiben.»
Ohne eine Antwort abzuwarten, zwängte sich Steenhoff an der Frau vorbei und ging die Treppe hinauf. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Petersen sich neben die Frau setzte und ruhig auf sie einsprach.
Als er das Zimmer betrat, lag Roman mit dem Gesicht zur Wand. Steenhoff blieb in der Mitte des Raumes stehen.
«Hallo Roman. Wie geht es dir?»
Schwerfällig, als koste es ihn unendlich viel Kraft, drehte sich der Junge um. Er hatte glasige Augen. Steenhoff zog sichden Schreibtischstuhl heran und musterte Roman. «Nilgüns Tod setzt dir mächtig zu, nicht war?»
Mühsam richtete sich Roman im Bett auf. Er presste die Lippen aufeinander. Steenhoff wartete geduldig.
«Ich … Ich kann das alles nicht glauben», begann der Junge. Seine Stimme zitterte. «Wenn ich aufwache, hoffe ich jedes Mal, dass alles nur ein furchtbarer Albtraum ist. Zigmal am Tag denke ich, dass ich unbedingt eine SMS an Nilgün schicken muss. Aber dann fällt mir ein, dass ich gar kein Handy mehr habe. Und dass ich auch gar keins mehr brauche, weil Nilgün mir nie wieder schreiben wird.» Seine Schultern fingen an zu beben. Beschämt bedeckte er seine Augen mit der Hand.
Steenhoff sah sich im Zimmer um und entdeckte eine Packung Taschentücher auf dem Schreibtisch. Wortlos reichte er sie dem Jungen.
«Nilgün wollte sich von dir trennen», sagte er unvermittelt, nachdem Roman sich ausgiebig die Nase geputzt hatte.
«Ja, äh … nein …», stammelte Roman. «Ich verstehe nicht, warum sie das tun wollte. Wir hatten uns nicht gestritten oder sonst was.» Er sah Steenhoff mit verquollenen Augen an. «Nilgün und ich, wir liebten uns. Sie hatte keinen neuen Freund, bestimmt nicht!»
«Und du, hattest du vielleicht eine neue Freundin?»
«Quatsch.» Roman schüttelte den Kopf. «Andere Mädchen interessieren mich nicht.»
«Und da warst du natürlich wütend, als sie dir den Laufpass gegeben hat.»
Roman pfiff abfällig durch die Zähne. «Nein. Ich war nicht wütend. Es war zu unwirklich. Ich habe die SMS gelesen, als ich mit meinen Kumpels nach dem Sport noch kurzin die Kneipe gegangen bin. Erst habe ich gedacht, es will mich jemand verarschen. Aber es war ja Nilgüns Handynummer. Dann war ich überzeugt, dass einer der beiden Brüder ihr Handy in die Finger bekommen hatte und mich abservieren wollte.»
«Und dann?»
«Ich habe mir ein Handy von einem Freund geliehen, damit sie oder ihre Brüder nicht gleich meine Nummer erkennen und auflegen. Dann habe ich bei Nilgün angerufen. Aber ihr Handy war abgestellt. Ich habe es zigmal von verschiedenen Apparaten aus probiert, aber sie war nicht erreichbar. Später bin ich dann zu Nilgün nach Hause gefahren.»
«Was wolltest du da?»
Roman rutschte unruhig hin und her. «Ich weiß es nicht. Wirklich … Ich … ich war total aufgewühlt und hatte Angst, sie könnte in Gefahr sein.»
«Hast du bei den Cetins geklingelt?»
«Nein. Ich habe nur vor der Haustür gestanden und gehofft, dass ich sie irgendwo am Fenster sehe. Aber bis auf ihre jüngere Schwester schien niemand zu
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