Ehrenhüter
jedes Mal dank Notärzten und der Intensivmedizin noch einmal von der Schippe gesprungen. Doch nun war eine Schülerin von einem Unbekannten ermordet worden. Fast noch ein Kind. Das lockte auch Fernsehteams aus dem Umland an.
Der Konferenzraum war schon fünfzehn Minuten vor Beginn der Pressekonferenz bis auf den letzten Platz besetzt. Aber noch immer kamen Journalisten schnaufend die Treppe hoch. Plaudernd bevölkerten sie den langen Flur, der zum Konferenzraum führte. Niemand schien bedrückt. Hätte man anhand der Stimmung unter den Reportern und Reporterinnen Rückschlüsse auf den Anlass des Treffens ziehen wollen, hätte an diesem Morgen auch ein Spielplatz eingeweiht werden können.
Um Punkt zehn Uhr betraten Staatsanwalt Jens Degert, Kommissariatsleiter Bernd Tewes und Frank Steenhoff den Raum. Andrea Voss hatte lange vor ihnen am äußersten Ende des Tisches Platz genommen.
Der Polizeipressesprecher Lars Diepenau stellte die Beamten vor und übergab dann an Staatsanwalt Jens Degert. Der drahtige kleine Jurist hatte morgens genau mit Steenhoff und Tewes abgesprochen, was sie sagen und was sie noch zurückhalten wollten. Dabei hatte er sich furchtbar über den Artikel von Andrea Voss im
Weser-Kurier
aufgeregt. Haarklein war die Journalistin in ihrem Bericht auf den Doppelmordam Bunker Valentin Ende der 90er Jahre eingegangen und hatte die Frage aufgeworfen, warum schon wieder eine junge Frau aus dem türkischen Kulturkreis im Deichvorland der kleinen künstlich angelegten Bucht tot aufgefunden worden war. «Da wird bewusst ein Mysterium um den Fall aufgebaut, das uns bei der Analyse nur behindert», wetterte Degert im kleinen Kreis.
Anders als Andrea Voss am Sonntagabend befürchtet hatte, war Steenhoff inzwischen ganz froh, dass die Reporterin den Doppelmord aufgegriffen und in Beziehung zur jetzigen Tat gestellt hatte. So war Degert gezwungen, sich bereits im Vorfeld mit den zu erwartenden Nachfragen der Journalisten auseinanderzusetzen. Im Gegensatz zu Steenhoff bereitete sich Degert auf Pressekonferenzen nämlich normalerweise nicht lange vor. Er wollte sie einfach nur rasch hinter sich bringen. Das eine oder andere Mal war es Journalisten schon gelungen, den Staatsanwalt durch provozierende Fragen aus der Reserve zu locken und ihn zu längeren Erklärungen zu verleiten. Steenhoff dagegen hatte sich im Laufe der Jahre angewöhnt, so knapp wie möglich und so kurz wie möglich zu sprechen. So hatte er es meist geschafft, nicht mehr preiszugeben als beabsichtigt.
Steenhoff sah, wie Degert einen Stichwortzettel aus der Tasche zog. Der Staatsanwalt schien sich diesmal vorgenommen zu haben, nur das zu berichten, was nötig war, um die Öffentlichkeit zu informieren und auf diese Weise weitere Zeugenhinweise zu erhalten. Nachdem er den Fall zusammengefasst hatte, übergab er an den Kommissariatsleiter. Bernd Tewes sollte die Fragen an die Bevölkerung vortragen. Vorsichtshalber hatte Lars Diepenau sie alle nochmal auf der neuesten Pressemitteilung notiert.
Nachdem Tewes geendet hatte, begann der schwierigstePart. Die Journalisten bekamen Gelegenheit, Fragen zu stellen. Steenhoff sollte, wie zuvor vereinbart, als Ermittlungsführer antworten. Erwartungsgemäß beschäftigte der lange zurückliegende Doppelmord die Reporter mindestens ebenso sehr wie die aktuelle Tat. Geschickt ging Steenhoff auf die Fragen ein und bestätigte, dass die Polizei den Parallelen natürlich sofort nachgegangen sei. Allerdings gebe es bislang keine Anhaltspunkte, die die These stützten. Er musste die gleiche Aussage in mehreren Varianten wiederholen, bis die Journalisten endlich den Punkt fallenließen.
Nach einer Stunde war die allgemeine Pressekonferenz beendet. Zu Steenhoffs großem Ärger hatte Tewes unnötigerweise in einem Nebensatz bemerkt, dass das Opfer schwanger gewesen sei. Die Journalisten hatten die Information begierig aufgesogen. Steenhoff hatte sofort eingegriffen und sie eindringlich gebeten, diesen Punkt aus Rücksicht auf die Familie nicht zu schreiben, aber er war sich nicht sicher, ob sich alle daran halten würden.
Andrea Voss hatte nichts gefragt und schien völlig in ihre Notizen vertieft.
Lars Diepenau verteilte ein Foto von Nilgün Cetin. Die Medien sollten es veröffentlichen, in der Hoffnung, dass sich Zeugen an die junge Frau erinnern würden. Noch wusste niemand, wohin das Mädchen gegangen war, nachdem sie Romans Elternhaus verlassen hatte.
Dann wurden Degert und Steenhoff gebeten, ein paar
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