Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ehrenhüter

Ehrenhüter

Titel: Ehrenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
Vom Netzwerk:
sein sollte oder nur eine lakonische Anmerkung war. Als er noch überlegte, ob er sie zu einem Bier einladen sollte, zeigte seine Kollegin auf die Kreuzung direkt vor ihnen.
    «Die Ampel ist rot. Da kannst du mich rauslassen. Von der Ecke ist es nicht mehr weit bis zu meiner Wohnung.»
    Navideh bedankte sich und stieg aus.
    Selbst unter den vielen jungen Frauen und Männern, die sich für den Diskoabend herausgeputzt hatten, war sie mit ihrer schlanken Statur und den langen schwarzen Haaren eine auffällige Erscheinung. Steenhoff sah, wie sie einem viel zu schnell fahrenden Taxi auswich und kurz darauf in einer dunklen Seitenstraße verschwand. Hinter ihm hupte jemand ungeduldig. Die Ampel war auf Grün umgesprungen. Leise schimpfend gab Steenhoff Gas.
    Er wollte gerade nach links abbiegen, als ein junger Mann quer über die Straße lief, ohne auf den Verkehr zu achten. Steenhoff musste scharf abbremsen, um den übermütigen Fußgänger nicht anzufahren. Der Mann hielt kurz inne und schlug mit geballter Faust auf die Motorhaube. Der Schlag klang dumpf in Steenhoffs Ohren. Empört riss er die Fahrertür auf und herrschte den Unbekannten an: «Mach das nicht nochmal, sonst komme ich raus.»
    Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, zeigte ihm der Mann den Stinkefinger.
    Steenhoff sprang aus dem Wagen, packte den Unbekannten und wollte ihn zur Rede stellen. Doch verdutzt ließ er ihn wieder los. Vor ihm stand Osman. Der Blick des Jungen flackerte. Seine Gesichtszüge waren vor Wut verzerrt.

09
    Mit zwei großen Schritten nahm Navideh Petersen die Stufen der Sandsteintreppe zu ihrem Wohnhaus. Ihre Wohnung lag im Hochparterre.
    Sie schloss die Tür auf und ging, ohne Licht einzuschalten, in den Flur. Einen Augenblick lang meinte sie, noch den Duft von Vanessas Parfum in der Nase zu haben. Aber das konnte nicht sein. Vanessa war vor mehr als drei Monaten ausgezogen. Seitdem stand ihr Zimmer leer. Navideh vermied es hineinzugehen. Sie hatte sich vorgenommen, es als Gästezimmer einzurichten. Dabei war ihre Mutter die Einzige, die ab und an zu Besuch kam und über Nacht in Bremen blieb. Meist fuhr sie noch am selben Abend wieder zurück nach Hamburg, oder sie übernachtete im Hotel. Immerhin schafften sie es inzwischen, sich ohne größere Streitereien zu treffen. Das war nicht immer so gewesen.
    Nachdem ihr Bruder Mahmud hinter Navidehs Liebe zu Vanessa gekommen war, hatte es eines Abends einen Kampf auf Leben und Tod zwischen den beiden Geschwistern gegeben. Ihre Mutter hatte sich anschließend klar entschieden: «Bevor dein Bruder dich nicht aus tiefstem Herzen um Verzeihung bittet, will ich nichts mehr mit ihm zu tun haben», hatte sie kurz nach der Tat gesagt – und Wort gehalten. Schließlich akzeptierte die Mutter sogar Navidehs Beziehung mit Vanessa. Doch jetzt, ein Jahr später, war die Beziehung kaputt. Navidehs ständige Überstunden und ihre unregelmäßigen Arbeitszeiten hatten dazu geführt, dass Vanessa abends immer häufiger allein loszog und auf eigene Faust etwas unternahm. Und als sie sich zum zweiten Mal in eine andere Frau verliebte, war auch das letzte Fünkchen Vertrauen bei Navideh aufgebraucht. Es war aus. Aus und vorbei.
    Obwohl sie Vanessa mit ihrer unbändigen Lebenslustnoch immer liebte, trennte sie sich im Frühsommer von ihr. Am Tag von Vanessas Auszug hatte Navideh freiwillig einen Wochenenddienst im Kommissariat übernommen. Noch nie hatte sie ihren Feierabend so gefürchtet wie an jenem Abend. Sie war mit ihrem Mountainbike nach Hause gefahren und hatte das Rad, wie jedes Mal, die steilen Treppen hinunter in den Keller getragen. Als sie die Wohnungstür aufschloss, bekam sie weiche Knie. Auf den ersten Blick wirkte alles wie immer. Doch am Kleiderständer hingen nur noch Navidehs Regenjacke und ein riesiger Sommerhut, auf den sie so stolz war und den sie trotzdem kaum trug. Die Haken daneben waren leer. Auch im Schuhschrank sah es sehr übersichtlich aus. Vanessa liebte Schuhe und hatte die Angewohnheit, sie in der ganzen Wohnung zu verteilen. ‹Wenigstens werde ich nachts nicht mehr über Pumps stolpern›, dachte Navideh. Widerstrebend öffnete sie die Tür zum Wohn- und Esszimmer, das in den Wintergarten überging. Entsetzt sah sie auf die rechte Wand: Der Karl Schmidt-Rottluff über dem Sofa fehlte. Ein grau-weißer Fleck zeigte deutlich die Umrisse des Rahmens. Auch zwei Korbsessel und ein Weichholzschrank neben dem Fernseher waren verschwunden. Vanessa hatte Navidehs Geschirr, das in

Weitere Kostenlose Bücher