Ehrenhüter
Geld mit Schachspielen verdiente, aber angeblich hatten sie keine Ahnung, dass sie seit Monaten einen Freund hatte.» Er schüttelte unwillig den Kopf.
«Du glaubst ihnen nicht?»
Wessel drehte sich empört zu Steenhoff um. «Natürlich nicht! Worüber reden Mädels in dem Alter pausenlos? Alles dreht sich doch nur um Jungs und ob sie selbst zu dick oder zu klein sind oder einen Pickel auf der Nase haben.» Er lachte abfällig. «Ich habe zwar keine eigenen Kinder, aber ich sage dir, Nilgüns Freundinnen wussten mehr. Die wollten nur nicht raus mit der Sprache. Aber die beiden knöpfe ich mir nochmal vor.»
«Vielleicht haben sie tatsächlich nichts von Roman gewusst», sagte Steenhoff nachdenklich.
«Die haben sich zig SMS jeden Tag geschickt. Jeder Furz war ihnen eine Nachricht wert. Und da soll Nilgün ihren Freundinnen gegenüber Roman einfach unterschlagen haben?»
«Es gibt ein Sprichwort aus dem Orient: Wenn es drei Leute wissen, weiß es bald das ganze Dorf», erwiderte Steenhoff. «Das Mädchen liebte Roman, und sie erwartete ein Kind von ihm. Aber seine Existenz bedrohte ihr gesamtes bisheriges Leben. Niemand durfte von ihm wissen. Auch ihre Schwester, mit der sie ein Zimmer teilte, hat es ja offensichtlich nur zufällig erfahren. Roman war ihre Chance, auszubrechen und eines Tages so zu leben wie ihre deutschenFreundinnen, aber mit der Beziehung hinterging sie auch die ungeschriebenen Gesetze ihrer Familie.»
Wessel schien nicht überzeugt.
Plötzlich blieb Steenhoff stehen. «Ich möchte bloß wissen, wo Nilgüns Handy geblieben ist. Wir müssen die Handys der beiden Freundinnen beschlagnahmen. Kümmere dich nachher bitte um einen richterlichen Beschluss. Und Romans Handy und die Verbindungsdaten brauchen wir auch. Wenn Nilgün ständig Kurznachrichten verschickt hat, möchte ich wissen, wen ihre letzte erreicht hat, und vor allem, was drin stand.»
«Was ist mit Saliha?», fragte Wessel.
«Um die kümmert sich Petersen.»
Sie hatten kaum geklingelt, da öffnete ihnen Besma Cetin die Tür. Unter ihren rot geränderten Augen lagen tiefe Schatten. Sie sah die Besucher erschrocken an. Ohne Gruß begann sie sofort, auf Steenhoff einzureden: «Osman hat es nicht so gemeint, Herr Kommissar. Bitte glauben Sie mir, er ist ein guter Junge …»
Hilflos schaute sie in Richtung Wohnzimmer und rief etwas auf Türkisch. Dann bat sie Steenhoff und Wessel in die Wohnung. «Bitte, kommen Sie herein.»
Osman stand in der Mitte des Raumes. Er wusste nicht, wohin mit seinen Händen, und hielt sich an der Fernbedienung fest. Wieder sagte Besma Cetin etwas auf Türkisch. Diesmal klang ihre Stimme scharf.
Osman richtete sich auf und sah Steenhoff verlegen an. «Es tut mir leid wegen gestern Nacht. Ich hatte etwas geraucht und war so wütend … Ich habe Sie erst gar nicht erkannt …» Er brach ab und schaute zu Boden.
Steenhoff hatte nicht damit gerechnet, dass sich Osmanzu der vergangenen Nacht äußern würde. Osmans Anwalt hatte ihm eingeschärft, nichts zu sagen. Doch offenbar war seine Mutter anderer Meinung.
«Osman will sich bei Ihnen entschuldigen», erklärte sie für ihren Sohn. «Er ist durcheinander und versteht nicht, was passiert ist. Keiner von uns versteht es.» Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen.
Osman machte Steenhoff und Wessel ein Zeichen, sich zu setzen. Während Besma Cetin in der Küche verschwand, um ein Taschentuch zu suchen und Tee zu kochen, ergriff Steenhoff das Wort. «Uns geht es nicht anders als euch, Osman. Wir verstehen auch noch nicht, warum deine Schwester sterben musste.»
Osman mied seinen Blick und starrte auf den Tisch vor ihm.
«Vor allem möchten wir wissen, warum du eine Liste mit Schülern gemacht hast und bei einem von ihnen gestern Nacht vor der Haustür standest?»
Osman zuckte mit den Schultern. «Eins von diesen Schweinen hat meine Schwester entehrt. Ich war so wütend …»
«Da wolltest du dich rächen und ihn fertigmachen», mischte sich Wessel ein.
«Ja … Nein. Ich weiß nicht, was ich da wollte. Ich hatte was geraucht, Mann …»
Bevor Wessel etwas entgegnen konnte, trat Besma Cetin mit dem Tablett ins Wohnzimmer und mischte sich wütend ein. «So redest du nicht mit dem Kommissar!», befahl sie ihrem Sohn streng. Osman murmelte eine Entschuldigung.
«Warum also die Liste?», begann Steenhoff erneut.
Osman knetete seine Hände. «Ich habe am Montagabend rumtelefoniert und alle angerufen, die Nilgün
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