Ehrenhüter
Portemonnaie in ihrer Jackentasche gefühlt. Das habe ich ihr abgenommen. Aber es waren nur 25 Euro drin. Die habe ich rausgenommen, und dann hat sie ihr Portemonnaie zurückbekommen. Okay, das macht man nicht, aber sollte ich die Frau wegen 50 Euro zur nächsten Polizeiwache schleppen? Ich habe genommen, was ich kriegen konnte, und bin zurück zum Auto. Sie hat getobt und mich gekratzt, aber ich habe mich nicht weiter um sie gekümmert.»
«Du bist ein richtig netter Bursche.» Das Lächeln des Beamten gefiel Jorges nicht. «Verzichtest großmütig auf die Hälfte deines Lohnes. Doch damit nicht genug, musst du um die andere Hälfte auch noch kämpfen, und dann wirst du auch noch zerkratzt, ohne dass du dich wehrst.»
«Ich habe mich gewehrt», widersprach Jorges. «Ich habe sie von mir gestoßen und sie angeschrien, dass sie abhauen soll.»
«War es nicht genau anders herum?»
Nun mischte sich auch der zweite Mann ein: «War es nicht die Frau, die versucht hat, dich wegzustoßen und laut geschrien hat? So laut, dass du es nicht mehr ertragen konntest und sie geschlagen hast? So laut, dass du ihr den Mund zugehalten hast, während du ihre Kleidung zerrissen hast.So laut, dass du ihr schließlich mit Wucht eine Taschenlampe aus dem Taxi auf den Kopf geschlagen hast, damit sie endlich still ist, wenn du kommst!»
Jetzt kam es drauf an: Er musste sich rechtfertigen, alles erklären, aber es kam kein Ton über seine Lippen.
«Ziehen Sie sich an. Wir werden die Vernehmung auf dem Präsidium fortsetzen», befahl der ältere der beiden Beamten, der offenbar das Wort führte. «Außerdem müssen Sie noch eine Speichelprobe abgeben.»
In Begleitung des zweiten Polizisten ging Jorges in sein Schlafzimmer und holte eine Hose aus dem Schrank. Seine Hand zitterte, als er sich ein frisches T-Shirt aus der Kommode nahm.
Stumm ließ er sich wenig später zum Auto führen und stieg ohne Widerstand ein.
Steenhoff stieß einen lauten Fluch aus. Dann schlug er mit der Faust gegen die Tür. Aber niemand öffnete. Wessel kam durch eine weiß gestrichene Pforte, die den hinteren Garten von der Straße abteilte. Er zuckte mit den Schultern: niemand zu Hause. Eine Frau, die schwer beladen mit Einkaufstüten den gepflasterten Weg zum Nachbarhaus entlangging, blieb stehen und musterte die Männer misstrauisch.
«Darf ich fragen, was Sie auf dem Grundstück der Familie Rodewaldt machen?»
Steenhoff stellte sich als Polizist vor. Für Diskretion war jetzt keine Zeit.
«Ich hoffe, nichts Schlimmes», entfuhr es der Nachbarin sofort.
«Nein, aber etwas Eiliges», antwortete Steenhoff vage. «Wissen Sie, wo die Familie sein könnte?»
Die Frau bat Steenhoff, einen Moment lang zu warten,schloss die Haustür auf und rief nach jemandem. Kurz darauf erschien ein Mann, der die beiden Beamten neugierig betrachtete.
«Meine Frau sagte, Sie suchen nach den Rodewaldts?»
«Ja, es ist dringend.»
Er fuhr sich mit der Hand durch sein ergrautes, aber noch volles Haar und zögerte. Steenhoff schätzte ihn auf Anfang 60. Es war ihm anzusehen, dass er überlegte, ob er mit der Polizei zusammenarbeiten sollte oder nicht. Steenhoff unterdrückte ein Seufzen. Mit einer bestimmten Sorte Intellektueller hakte es immer wieder im polizeilichen Alltag.
«Für die Rodewaldts ist unsere Information von großer Bedeutung», versuchte er den Mann aus der Reserve zu locken.
Der Nachbar warf seiner Frau einen verstohlenen Blick zu. Steenhoff sah aus dem Augenwinkel, dass sie ihm zunickte.
«Ich habe gesehen, wie sie Getränkekisten und leere Taschen ins Auto gepackt haben. Sah alles nach dem wöchentlichen Großeinkauf aus. Sie sind gerade erst weg. Soll ich etwas ausrichten, wenn sie zurückkommen?»
«Nicht nötig», beeilte sich Steenhoff zu sagen. «Ich versuche, die Rodewaldts nachher telefonisch zu erreichen.»
Sie saßen kaum im Auto, als Steenhoff Navideh Petersen anrief. Er bat sie, Block und Tewes zu benachrichtigen. Nilgüns SMS an Roman bedeutete eine Wende in dem Fall. Sie mussten ihr weiteres Vorgehen aufeinander abstimmen. Petersens Stimme klang belegt, aber Steenhoff ging nicht darauf ein.
Eine halbe Stunde später saßen sie alle zusammen im Besprechungsraum. Zwei fast erkaltete Pizzen standen auf einemBeistelltisch. Steenhoff vermutete, dass Wessel sie bestellt hatte. Aber Tewes pries sie vor dem Beginn ihrer Sitzung an, als habe er ein Gourmet-Büfett für seine Leute spendiert. Obwohl die Pizzen genauso bescheiden
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