Ehrensache
Wird Zeit, mit dem Trinken aufzuhören, John.«
»Zeit, ein geregeltes Leben anzufangen, meinst du wohl.«
Er zog seine Hose aus. »Was dagegen, wenn ich ein Bad nehme?«
Sie betrachtete ihn forschend. »Du weißt doch, dass du nicht zu fragen brauchst.«
»Ja, aber trotzdem. Ich frag eben gern.«
»Erlaubnis erteilt... wie immer. War das auch Lucky?«
Sie zeigte auf die Kratzer an seinem Handgelenk.
»Wenn er das getan hätte, war er längst in der Mikrowelle gelandet.«
Sie lächelte. »Ich schau mal nach dem Orangensaft.«
Rebus beobachtete, wie sie in die Küche ging. Mit trockenem Mund versuchte er, ihr nachzupfeifen.
Einer der Wellensittiche im Wohnzimmer zeigte ihm, wie man das richtig machte. Patience drehte
sich lächelnd zu dem Vogel um.
Dann legte er sich in das Schaumbad, schloss die Augen und atmete tief durch, so wie der Arzt es
ihm erklärt hatte.
Entspannungstechnik hatte er es genannt. Er wollte, dass Rebus sich ein bisschen mehr entspannte.
Hoher Blutdruck, nichts Ernstes, aber trotzdem... Es gab natürlich Tabletten, die er nehmen
könnte, Betablocker. Doch der Arzt war für Selbsthilfe. Tiefenentspannung. Selbsthypnose. Rebus
hätte dem Arzt beinahe erzählt, dass sein Vater Hypnotiseur gewesen war und dass sein Bruder
immer noch irgendwo als professioneller Hypnotiseur tätig sein könnte...
Tief durchatmen... an nichts denken... den Kopf entspannen, die Stirn, die Kiefermuskeln, die
Nackenmuskeln, den Brustkorb, die Arme. Rückwärts bis Null zählen... kein Stress, keine
Anspannung.
Zunächst hatte Rebus dem Arzt Knauserigkeit unterstellt, dass er keine teuren Medikamente
verschreiben wollte.
Doch die verdammte Methode schien zu funktionieren. Er konnte sich selbst helfen. Er
konnte sich sogar zu Patience Aitken verhelfen...
»Bitte sehr.« Sie kam mit einem schmalen hohen Glas Orangensaft ins Badezimmer. »Handgepresst von
Dr. Aitken.«
Rebus legte einen schaumigen Arm um ihren Hintern.
»Handgepresst von Inspector Rebus.«
Sie beugte sich herab und küsste ihn auf den Kopf. Dann fuhr sie mit einem Finger über sein Haar.
»Du solltest ab und zu eine Pflegespülung benutzen, John. Aus deinen Follikeln geht alles Leben
raus.«
»Weil es gerade woanders hinströmt.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Runter, Junge«, sagte sie. Und bevor er erneut nach ihr greifen
konnte, floh sie aus dem Badezimmer. Lächelnd ließ sich Rebus tiefer in die Wanne sinken.
Tief durchatmen... an nichts denken... War Gregor Jack in eine Falle gelockt worden? Wenn ja, von
wem? Und mit welcher Absicht? Um einen Skandal hervorzurufen, natürlich. Einen politischen
Skandal, einen, der in die Schlagzeilen kommt. Doch die Atmosphäre bei Jack zu Hause war... nun
ja, seltsam gewesen. Angespannt, verständlicherweise, aber auch unterkühlt und gereizt, als ob
das Schlimmste noch bevorstünde.
Die Frau... Elizabeth... irgendwas schien da nicht zu stimmen. Irgendwas schien äußerst
merkwürdig zu sein. Er brauchte mehr Informationen, Informationen über Hintergründe und
Zusammenhänge. Er musste Gewissheit haben. Die Adresse von der Lodge hatte er sich fest
eingeprägt, doch nach allem, was er über Polizeireviere in den Highlands wusste, hatte es wenig
Sinn, an einem Sonntag anzurufen. Informationen... Ihm fiel Chris Kemp wieder ein, der Reporter.
Ja, warum nicht? Wacht auf, Arme! Aufwachen, Brustkorb, Nacken und Kopf! Sonntag war keine Zeit,
um auszuruhen. Für manche Leute war der Sonntag ein Arbeitstag.
Patience steckte den Kopf durch die Tür. »Wie wär's mit einem ruhigen Abend zu Hause?«, schlug
sie vor. »Ich koche uns ein...«
»Ruhiger Abend kommt nicht in Frage«, sagte Rebus und erhob sich eindrucksvoll aus dem Wasser.
»Komm, wir gehen einen trinken.«
»Du kennst mich, John, ein bisschen Schmuddel macht mir nichts aus, aber diese Kneipe hier
ist das Allerletzte. Meinst du nicht, ich hätte was Besseres verdient?«
Rebus küsste Patience flüchtig auf die Wange, stellte ihre Drinks auf den Tisch und setzte sich
neben sie. »Ich hab dir einen Doppelten geholt«, sagte er.
»Das sehe ich.« Sie nahm das Glas in die Hand. »Ist ja nicht mehr viel Platz für das
Tonic.«
Sie saßen im hinteren Raum des Horsehair-Pub an der Broughton Street. Durch die offene Tür konnte
man in die Bar sehen, wo es sehr laut zuging. Leute, die sich unterhalten wollten, standen gut
zehn Schritte von einander entfernt. Dementsprechend wurde gebrüllt, doch niemand kam auf die
Idee, sich näher zusammen
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