Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ehrensache

Titel: Ehrensache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
Vom Netzwerk:
zustellen. Es war laut, aber ganz unterhaltsam. Im hinteren Raum war es
ruhiger. Hier waren durchgesessene Polsterbänke U-förmig entlang der Wände aufgestellt, dazu gab
es wackelige Stühle. Die schmalen, rautenförmigen Tische waren am Fußboden befestigt. Gerüchten
zufolge waren die durchgesessenen Bänke in den zwanziger Jahren mit Rosshaar gepolstert worden,
was seitdem nie wieder erneuert worden war. Deshalb hatte das Pub seinen ursprünglichen,
prosaischen Namen längst aufgegeben und nannte sich nur noch The Horsehair. Patience goss
die Hälfte einer kleinen Flasche Tonic in ihren Gin, während Rebus an seinem Pint IPA
trank.
»Prost«, sagte sie mit wenig Begeisterung. Dann: »Ich weiß verdammt gut, dass es für das hier
einen Grund gibt. Ich meine, einen Grund, weshalb wir hier sind. Ich würde sagen, es hat was mit
deiner Arbeit zu tun.«
Rebus stellte sein Glas hin. »Ja«, bestätigte er.
Sie hob den Blick zu der von Nikotin verfärbten Decke.
»Gib mir Kraft«, sagte sie.
»Es wird nicht lange dauern«, sagte Rebus. »Ich hab gedacht, wir könnten hinterher irgendwo
hingehen... wo es ein bisschen mehr deinem Stil entspricht.«
»Behandle mich nicht so gönnerhaft, du Mistkerl.« Rebus starrte in sein Bier und dachte über die
diversen Bedeutungen dieser Aussage nach. Dann erspähte er einen neuen Gast in der Bar und winkte
ihm zu.
Ein junger Mann kam müde lächelnd auf ihn zu.
»Sie sieht man ja nicht gerade oft hier, Inspector Rebus«, sagte er.
»Setzen Sie sich«, sagte Rebus. »Meine Runde. Patience, darf ich dir Chris Kemp vorstellen, einen
der besten jungen Reporter Schottlands.«
Rebus stand auf und ging zur Bar. Chris Kemp zog sich einen Stuhl heran und setzte sich
vorsichtig darauf, nachdem er ihn getestet hatte. »Er muss irgendwas von mir wollen«, sagte er zu
Patience und deutete mit dem Kopf Richtung Bar. »Er weiß, dass ich für ein bisschen Schmeichelei
empfänglich bin.«
Nicht dass es Schmeichelei gewesen wäre. Chris Kemp hatte für seine frühen Arbeiten bei einer
Abendzeitung in Aberdeen diverse Preise bekommen, war dann nach Glasgow gezogen, wo er zum
Nachwuchsjournalisten des Jahres gewählt worden war. Vor anderthalb Jahren kam er schließlich
nach Edinburgh wo er seither in allen möglichen Sachen »herumrührte«, wie er es selber
nannte.
Jeder wusste, dass er eines Tages in den Süden gehen würde. Er wusste es auch. Es war
unausweichlich. In Schottland schien es für ihn nicht mehr viel zu rühren zu geben. Das einzige
Problem war seine Freundin, die noch studierte und frühestens in einem Jahr fertig sein würde und
nicht daran dachte, vorher in den Süden zu ziehen, wenn überhaupt jemals...
Das alles und noch mehr wusste Patience bereits, als Rebus von der Bar zurückkam. Ein dünner
Schleier hatte ihre Augen überzogen, den sich Chris Kemp trotz seines ausgezeichneten Spürsinns
nicht erklären konnte. Er redete, und während er redete, dachte sie: Ist John Rebus das alles
wirklich wert? Ist er die Mühe wert, die ich mir anscheinend machen muss? Sie liebte ihn nicht,
das war ganz klar. »Liebe« war etwas, das ihr einige Male im Teenageralter, in den Zwanzigern und
sogar noch in den Dreißigern passiert war. Immer wieder ohne oder mit einem eher katastrophalen
Ergebnis. Mittlerweile kam es ihr so vor, dass »Liebe« genauso gut das Ende einer Beziehung wie
ihren Anfang bedeuten könnte.
Sie erlebte das häufig in ihrer Praxis. Sie sah Männer und Frauen (aber meistens Frauen), die
krank vor Liebe waren, weil sie zu viel liebten und nicht genug wiedergeliebt wurden. Sie waren
genauso krank wie ein Kind mit Ohrenschmerzen oder ein Rentner, der an einer Angina litt.
Sie hatte Mitleid und Worte für sie, aber keine Medizin.
Die Zeit heilt alle Wunden, könnte sie ihnen in einem unbedachten Augenblick sagen und ihre Arme
schützend um sie legen. Aber brauchte John Rebus ihren Schutz?
»So, das hätten wir«, sagte er, als er zurückkam. »Der Barmann ist heute Abend ziemlich langsam,
tut mir Leid.«
Chris Kemp nahm den Drink mit einem dünnen Lächeln entgegen. »Ich hab gerade Patience
erzählt...«
O Gott, dachte Rebus, als er sich setzte. Ihre Stimmung ist unter dem Nullpunkt. Ich hätte sie
nicht hierher bringen dürfen. Aber wenn ich gesagt hätte, dass ich allein weggehe ... hätte sie
genauso ein Gesicht gemacht. Bringen wir es rasch hinter uns, vielleicht ist der Abend ja noch zu
retten.
»Also, Chris«, fiel er dem jungen

Weitere Kostenlose Bücher