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Ehrensache

Titel: Ehrensache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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befahl der Pfleger. Andrew Macmillan legte beide Handflächen an die Wand
hinter ihm.
»Hören Sie«, begann Rebus, »ist das denn wirklich...?«
Macmillan lächelte ironisch. »Keine Angst«, erklärte der Pfleger Rebus. »Er beißt nicht. Nicht
nach dem ganzen Zeug, das wir in ihn reingepumpt haben. Sie können sich dort hinsetzen.« Er
zeigte auf einen Tisch, auf dem ein Schachspiel aufgebaut war. Es gab zwei Stühle. Rebus setzte
sich so hin, dass er Andrew Macmillan ansehen konnte.
In dem Raum standen vier Betten, doch sie waren alle leer. Es war ein heller Raum mit
zitronengelb gestrichenen Wänden. Es gab drei schmale, vergitterte Fenster, durch die die Sonne
hereinschien. Es sah so aus, als wollte der Pfleger bleiben, denn er stellte sich hinter Rebus,
was diesen an die Situation im Vernehmungsraum in Dufftown erinnerte: er zusammen mit Corbie und
Knox.
»Guten Morgen«, sagte Macmillan leise. Er bekam eine Glatze, sah aber so aus, als hätte er schon
seit Jahren schütteres Haar. Sein Gesicht war länglich, aber nicht ausgemergelt. Rebus hätte ein
solches Gesicht als »freundlich« bezeichnet.
»Guten Morgen, Mr. Macmillan. Ich bin Inspector Rebus.«
Diese Information schien Macmillan zu erregen. Er trat einen halben Schritt vor.
»An die Wand«, sagte der Pfleger. Macmillan zögerte, dann wich er zurück.
»Sind Sie ein Krankenhausinspektor?«, fragte er.
»Nein, Sir, ich bin Polizeiinspector.«
»Oh.« Sein Gesichtsausdruck stumpfte ein wenig ab. »Ich dachte, Sie wären vielleicht gekommen,
um... wissen Sie, man behandelt uns hier nicht gut.« Er hielt inne. »Aber weil ich Ihnen das
gesagt habe, werde ich vermutlich diszipliniert, vielleicht sogar in Einzelhaft gesteckt. Alles,
jede kleinste Kritik, wird gemeldet. Aber ich muss es immer wieder Leuten sagen, sonst ändert
sich nie etwas. Ich habe einige einflussreiche Freunde, Inspector.« Rebus glaubte, dass das mehr
für die Ohren des Pflegers bestimmt war als für seine. »Freunde in hohen Positionen...«
Zumindest Dr. Forster wusste das inzwischen, dank Rebus.
»... Freunde, denen ich vertrauen kann. Die Leute müssen erfahren, was hier abläuft. Die
zensieren unsere Post. Sie bestimmen, was wir lesen dürfen. Sie lassen mich noch nicht mal Das
Kapital lesen. Und sie geben uns Medikamente. Geisteskranke, damit meine ich die, die vom
Gericht für geisteskrank erklärt worden sind, haben weniger Rechte als die
hartgesottensten Massenmörder... hartgesottene, aber geistig gesunde Massenmörder. Ist das
fair? Ist das... menschlich?«
Rebus wusste darauf keine Antwort. Außerdem wollte er sich nicht vom Thema ablenken lassen.
»Sie hatten Besuch von Elizabeth Jack.«
Macmillan schien zurückzudenken, dann nickte er. »Das stimmt. Aber wenn sie mich besucht, nennt
sie sich Ferrie, nicht Jack. Das ist unser Geheimnis.«
»Worüber haben Sie mit ihr geredet?«
»Warum interessiert Sie das?«
Rebus kam zu dem Schluss, dass Macmillan nicht wusste, dass Liz Jack ermordet worden war. Woher
sollte er es auch wissen? Er hatte hier keinen Zugang zu Nachrichten.
Rebus' Finger spielten mit den Schachfiguren herum.
»Es hat mit einer Ermittlung zu tun... im Zusammenhang mit Mr. Jack.«
»Was hat er getan?«
Rebus zuckte die Schultern. »Das versuche ich ja gerade herauszufinden, Mr. Macmillan.«
Macmillan hatte sein Gesicht zu dem einfallenden Sonnenlicht gedreht. »Ich vermisse die Welt«,
sagte er mit flüsternder Stimme. »Ich hatte so viele Freunde.«
»Halten Sie denn den Kontakt zu ihnen aufrecht?«
»O ja«, sagte Macmillan. »Sie kommen und holen mich übers Wochenende zu sich nach Hause. Dann
gehen wir abends ins Kino oder ins Theater und trinken was in der Kneipe. O ja, wir amüsieren uns
wunderbar miteinander.«
Er lächelte wehmütig und tippte an seinen Kopf. »Aber nur hier drinnen.«
»Hände an die Wand.«
»Warum?«, fauchte er. »Warum muss ich die Hände an die Wand halten? Warum kann ich mich nicht
hinsetzen und ein normales Gespräch führen wie... ein... normaler ... Mensch.« Je wütender er
wurde, desto leiser wurde seine Stimme. Er hatte Speichel in den Mundwinkeln, und über dem
rechten Auge trat eine Ader hervor. Er atmete zweimal tief durch, dann senkte er den Kopf ein
wenig.
»Tut mir Leid, Inspector. Die geben mir hier Medikamente. Weiß der Himmel, was da drin ist. Sie
haben diese... Wirkung auf mich.«
»Schon in Ordnung, Mr. Macmillan«, sagte Rebus, aber innerlich zitterte er. War das Wahnsinn oder

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