Ehrensachen
Anrufbeantworter ein mit der Mitteilung, die Nachricht werde weitergeleitet, ohne jede Auskunft über den Aufenthaltsort des Auftraggebers. Gewöhnlich rief Henry innerhalb von Minuten zurück. Mich machte das neugierig. Wenn er mit einer Frau zusammenlebte, würden George und ich es wissen, schien mir. Daß er und Margot eine Affäre hatten, hielt ich für möglich, und vielleicht trafen sie sich ja in diesem Versteck, aber er hatte von sich aus nichts darüber gesagt, und aus der Tatsache, daß er mit großer Traurigkeit über die ElternHornung sprach, zog ich keine Schlüsse. Ein sinnloser, aber schmerzlicher Zufall wollte es, daß Mr. Hornung in derselben Woche starb wie Tom; aus dem Nachruf erfuhr ich, daß er Mrs. Hornung nur um ein knappes Jahr überlebt hatte. Ich schickte Margot sofort einen Kondolenzbrief zu beiden Verlusten. Sie schrieb mir daraufhin einen Satz zurück – als Erwiderung oder vielleicht als Tadel: Die Loyalität ihrer Freunde sei ihr eine Hilfe gewesen.
Ganz unabhängig von Henry und Margot beschäftigte mich Paris zwei Jahre danach wieder, vor allem wegen der Wahlen im Mai, die François Mitterrand in den Élysée-Palast gebracht hatten. Der politische Richtungswechsel von Giscard zu Mitterrand war das genaue Gegenteil des Umschwungs in unserem Land nach der Niederlage Jimmy Carters gegen Ronald Reagan. Zusammengenommen bestätigten die beiden Ereignisse meine These, daß wir in einem Zeitalter der Unvernunft lebten. Weder Giscards Regime noch die Klasse, für die er stand, hatten mir behagt. Aber Mitterrand irritierte mich wegen der Lügengeschichte vom angeblichen Attentat in der Rue de l’Observatoire und auch wegen einer Nebensache, die ich für mich behielt: der scheußlichen Verfassung seiner Zähne. Ich hatte sie ein paar Jahre zuvor bei einem kleinen Dinner, zu dem der französische Generalkonsul in New York geladen hatte, aus der Nähe besichtigen können. Wäre meine Meinung von ihm besser gewesen, wenn er ein Porzellangebiß wie Präsident Reagan gebleckt hätte? Ich kann es nicht sagen. Aber ich verfolgte die lückenhafte Berichterstattung der New York Times über Frankreich mit größerer Wachsamkeit als sonst. Ich abonnierte sogar die Luftpostausgabe von Le Point . So ergab es sich, daß ich zwischen allerhand Artikeln über das Programm der Linken einen Bericht über die Kontroverse mit der Banque de l’Occident fand, der von Hubert de Sainte- Terre kontrollierten französischen Bank, die für die erstePhase der Verstaatlichung vorgesehen war. Jacques Blondet nutzte jede Gelegenheit, um öffentlich zu bekunden, daß eine Bank wie l’Occident, die überwiegend außerhalb Frankreichs operierte, ruiniert wäre, wenn sie in Staatseigentum überginge. Nichtfranzösische Banken und Kunden würden sich von ihr trennen, da sie nicht tolerieren könnten, daß der französische Staat seine Nase in ihre Transaktionen steckte. Hubert vertrat dieselbe Position; er war genauso energisch und sogar noch schärfer im Ton. Die Angriffe der französischen Regierungssprecher und linksliberalen Journalisten – in diesem Fall konnte man kaum zwischen französischen Reportern und Kommentatoren unterscheiden – auf die Kräfte des internationalen Kapitals waren genauso heftig. Da auch andere französische Privatbanken sowie die wichtigsten Industriebetriebe von der Verstaatlichung bedroht waren, konnte man leicht den Eindruck gewinnen, daß die französische Bourgeoisie ein neues Terrorregime vorhersah und beschlossen hatte zu emigrieren, vorzugsweise nach London und New York. Transatlantische Telefonate führte ich normalerweise nicht. Trotzdem rief ich Henry an, um zu erfahren, was los war – nicht so sehr im allgemeinen, sondern soweit es Huberts Bank und ihn betraf. Er war in einer Besprechung, und seine Sekretärin versicherte mir, er werde sich melden, sobald er frei sei.
Ha! sagte er, als er zurückrief, der Herr Graf und sein Figaro Blondet wollen den französischen Staat aufhalten, das ist los. Sie wollen die Verstaatlichung der l’Occident zum Entgleisen bringen. Also haben sie mir den Auftrag – oder genau gesagt, den Befehl – erteilt, die Mittel und Wege dafür zu finden, und ungefähr stündlich hängt sich einer von beiden ans Telefon und will wissen, wie weit ich mit der Lösung bin. Ich frage mich, welche schreckliche Strafe mich erwartet, wenn es keinen Ausweg gibt, oder wenn ich ihn nicht finden kann. Die Sklaven in Rom konnten waserleben, wenn sie Murks machten und
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