Ehrensachen
Angst, selbst in die Schußlinie zu geraten, von seiner Seite gewichen sind?
Da platzte mir der Kragen, fuhr Henry fort, und ich erklärte Blondet, eine solche Sichtweise wäre purer Unsinn. Meine Voraussagen seien in allen Punkten eingetroffen: Der Plan sei perfekt, seine politischen Kosten für Hubert und alle Beteiligten untragbar, und jeder gute Anwalt, dem meine Vorlage zur Verfügung stehe, könne sie ausführen. All das hat sich als genau richtig erwiesen, sagte ich. Recht zu haben, ist nicht alles, hielt Blondet dagegen, obwohl eine Fehleinschätzung des juristischen Aspekts eine wahre Katastrophe gewesen wäre. Nehmen Sie einfach hin, daß Hubert möglicherweise etwas anderes noch mehr als Ihre brillante Idee geschätzt hätte: den Beweis Ihrer Bereitwilligkeit, sich aufzuopfern. Und was kann ich tun? fragte ich. Soll ich mich etwa aufhängen oder mir irgendwo ein Schwert leihen und es auf die altrömische Art versuchen? O nein, sagte Blondet, das würde nichts nützen. Wenn eine Schale zerbricht, kann man sie nicht wieder zusammenstückeln. Natürlich müssen Fürsten pragmatisch sein – manchmal –, und sie können so tun, als sähen sie die Scherben auf dem Marmorboden nicht. – Wie du dir vorstellen kannst, blieben wir nicht länger als nötig am Tisch sitzen. Trotz dieser gehässigen Andeutungen kommen die Einladungen zumEssen in Paris und Brüssel so häufig wie früher. Gilberte hat schon mit mir über Weihnachten geredet und alles, was dazu gehört. Ich bin mit meinem Latein am Ende.
Er sah verstört aus, und als er sich entschuldigte, daß er ständig von sich gesprochen habe, statt zuerst ein Wort über meine Mutter zu sagen, konnte ich ihm ganz ehrlich versichern, das verstünde ich und hätte es nicht übelgenommen. Dann fragte ich nach Margot. Sie sei in Paris, sagte Henry; er habe zusammen mit Jean und dem Filmemacher bei ihr zu Abend gegessen. Möglich, daß Jean nicht Bescheid wußte, genauso möglich, daß es ihm gleichgültig war, solange Margot den Schein wahrte.
Und wie geht’s jetzt weiter? fragte ich.
Mit mir und Hubert? Mit Margot? Oder an einer anderen Front?
An allen dreien, sagte ich.
Viel verlangt, sagte er, aber ich bin ja unterbeschäftigt, also warum nicht? Die l’Occident-Transaktion ist in zehn Tagen abgeschlossen. Danach wird man sehen. Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit, mit Hubert allein zu sprechen, dann werde ich merken, wieviel Wahres an Blondets Andeutungen ist. Sein Spiel gefällt mir nicht. Abgesehen davon werde ich mich nicht rühren und die Arbeit erledigen, die ich noch habe. Margot? Was ich dir neulich gesagt habe, ist mein Ernst: Sie und ich, wir haben den Anschluß verpaßt. Warum besuchst du sie nicht mal? Und eine dritte Front? Die gibt es nicht. Ich mag Frauen, und ich mag Sex, das weißt du. Wenn ich heutzutage in Paris auf einer Cocktailparty oder einem geschäftlichen Empfang Frauen ohne Begleiter treffe, und das passiert ziemlich oft, ist meine Erfolgsquote beachtlich. Und wenn die Frau in der ersten Nacht halbwegs gut ist, lasse ich sie wiederkommen, bis wir uns gegenseitig langweilen. Keine von ihnen erwartet mehr, und mir geht es genauso.
Ganz schön dekadent, sagte ich.
Also wirklich, sagte er. Ich dachte, wenn das jemand versteht, dann du.
Ein paar Tage danach folgte ich Henrys Anregung und besuchte Margot; wir aßen zusammen in ihrer Wohnung. Sie zeigte mir neue Fotos von ihrem kleinen Henry, der auf den neueren Bildern gar nicht so klein aussah. Er ging in ein Internat in Gstaad, dessen Name mir bekannt war; es galt als ein Brutkasten zukünftiger Playboys. Natürlich erzählte ich ihr, daß ich den großen Henry gleich nach meiner Ankunft in Paris gesehen hatte. Wirklich, sagte sie. Hat er dir erzählt, daß ziemlich viel über ihn geredet wird? Ich schüttelte den Kopf. Ja, fuhr sie fort, in den Zeitungen steht noch nichts, abgesehen von einer winzigen Glosse im Canard , aber es hat sich herumgesprochen – und die Regierung weiß es mit Sicherheit –, daß der Plan für den Raub von l’Occident sein Werk ist. Der Handel ist aber noch nicht abgeschlossen. Im Fernsehen ist ein Kommentator aufgetreten, der behauptete, daß der Finanzminister Hubert de Sainte-Terre und den aufgeblasenen Menschen, der in Paris für ihn arbeitet, weiter stark unter Druck setzt, um sie zu einem Rückzieher zu bewegen. Aber daß er damit irgend etwas erreicht, glaubt keiner, und bald wird die Hölle los sein.
Daß Henry ein Thema für Zeitungen
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