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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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Pflicht auf ein juristisches Adoptionsverfahren zurückging, statt auf den Zufall einer Geburt, nahm ihr nichts von ihrerbindenden Kraft. Im Gegenteil: Das Leben, das mir meine Mutter und mein Vater gegeben hatten, war mit aller Wahrscheinlichkeit weit besser als das eines unerwünschten Kindes; also hätte ich ihnen stärker verbunden und dankbarer sein müssen als meinen leiblichen Eltern, hätte ich sie gekannt, denn die hatten mir zwar das Leben geschenkt, aber es war ein vergiftetes Geschenk. Wenn ein Höllenkreis den Undankbaren vorbehalten ist, dann gehörten Henry und ich dorthin. Wir würden da wohl viele unserer Freunde wiederfinden.
    Weil ich etwas wiedergutmachen wollte, indem ich Greg half, zog sich mein Aufenthalt in den Staaten länger hin als erwartet. Als ich nach Paris zurückkam, hatten Vorstand und Aktionäre der Bank dem Raubüberfall auf l’Occident, wie die französische Presse titelte, zugestimmt; und der Premierminister, der Finanzminister sowie der Justizminister und der Präsident der Bank von Frankreich hatten einhellig das niederträchtige Komplott verurteilt, das zu verhindern nicht in ihrer Macht stand, wie der Regierungssprecher zugeben mußte. Das Verstaatlichungsgesetz sei lückenhaft; das hätten die teuflischen Anwälte der Banque de Sainte-Terre skrupellos ausgenutzt. Alle drei Minister schworen Vergeltung. Henry mußte im siebten Himmel sein: Sein Plan hatte funktioniert, und er war politisches Gift. Seine Voraussicht war bemerkenswert. Ich rief ihn vom Flughafen aus an, sobald ich durch den Zoll war. Da ich im Flugzeug erstaunlich gut geschlafen hatte, war ich nicht müde und verabredete mich mit ihm zum Mittagessen in ein paar Stunden. Er habe mehr als genug Zeit zur Verfügung, sagte er und bat mich, in ein Restaurant an der Rue Bellechasse zu kommen, nur ein paar Schritte von meiner Wohnung entfernt.
    Wie fühlt es sich an, in allen Punkten recht zu haben? fragte ich ihn.
    Ach weißt du, sagte er, auch in den schlimmsten Anfällen von Selbstzweifeln habe ich weder meine Intelligenz noch meine juristischen Fähigkeiten in Frage gestellt. Aber wenn du wissen willst, ob mich diese besondere Situation freut, ist meine Antwort nein. Ob er es einsieht oder nicht, Hubert wird leiden, und das quält mich. Er ruft mich nach wie vor ständig an und fragt, ob sie dies oder jenes richtig gemacht hätten. Ich kann auf solche Fragen nicht antworten. Jedenfalls nicht konkret; ich kann nur – zum Beispiel – sagen: Wenn du Jean-Louis Lièvres Rat befolgt hast – das ist der belgische Anwalt –, hast du es sicher richtig gemacht. Ein Wort mehr, und ich könnte nicht abstreiten, daß ich ihr Anwalt war, als sie dieses Ding drehten. Außerdem flicke ich nicht gern Kollegen nachträglich ans Zeug. Aber eines konnte ich mir nicht versagen: einen deutlichen Hinweis darauf, daß die Regierung hatte zugeben müssen, gegen meinen Plan machtlos zu sein, und daß sie über ihre Blamage und den »Raubüberfall« so empört war, wie ich vorhergesagt hatte.
    Henry konzentrierte sich einen Moment auf sein Essen und fuhr dann fort: Es vergeht keine Woche, ohne daß im Heiligen Land ein neues Projekt Gestalt annimmt, und kein Tag, ohne daß Hubert fünf wichtige Fragen hat, die man nur mit erheblichen juristischen Fähigkeiten und klarem Menschenverstand beantworten kann. Das hat mich in Atem gehalten, seit Hubert unser Mandant wurde. Jetzt höre ich nichts mehr von diesen Projekten oder Fragen, und kein Wort der Erklärung ist gefallen. Du kennst mich, ich würde nie nach dem Grund fragen. Ich bin zu stolz. Ist Lièvre so schnell, daß er die l’Occident-Angelegenheit regeln kann und alles andere noch dazu? Möglich wäre es, obwohl seine Kanzlei klein ist und alle bis über die Ohren in der Arbeit für l’Occident stecken müssen. Oder beschäftigen sie außerdem eine amerikanische Anwaltsfirma? Ich habe nichtsläuten hören. Oder vielleicht doch. Vor einer Woche hat mir Blondet ein Dinner zu zweit vorgeschlagen, und irgendwann zwischen le fromage et la poire fragte er mich, wie gut ich mich zur Zeit mit Hubert verstehe. Sehr gut, erwiderte ich; nach meinem Gefühl seien wir enge Freunde, obwohl wir uns geeinigt hätten, in der Sache l’Occident uneins zu sein. Ah, sagte Blondet, mon pauvre ami, die Freundschaft von Fürsten, sie zerrinnt wie Wasser in der hohlen Hand. Fragen Sie sich denn nicht, ob cet excellent Hubert meinen könnte, daß Sie nicht mehr sein treuer Diener sind, seit Sie aus

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