Ehrensachen
war, hatte er mir verschwiegen; das gab ich zu und fragte sie, ob sie glaube, daß Gefahr für seine Person bestehe. Sie schnitt eine Grimasse und sagte: Wer mit dem Feuer spielt …
Henrys Voraussage war richtig gewesen.
Die ausländischen Unternehmen von l’Occident wurden an einem Dienstag an die Sainte-Terre-Tochtergesellschaft verkauft. Am Abend desselben Tages gab Hubert ein Festessen im Le Grand Véfour, das offensichtlich sein Lieblingsrestaurant war – es sei denn, er hatte es wegen seiner Lage, nur einen Steinwurf vom Finanzministerium entfernt, zumHohn der Behörde ausgesucht. Grands-Echézeaux ’71, gefolgt von La Tâche ’62 und Krug ’75, flossen in Strömen wie Bier. Henry und ich saßen an Huberts Tisch. Es war seine Idee, dich einzuladen, sagte Henry. Da du Zeuge meiner ersten Triumphe gewesen seiest, solltest du auch diesen jüngsten mitfeiern, meinte er. Ich habe keine Ahnung, wovon er redet.
Es fiel mir schwer, abzuschätzen, welche Einstellung zu Henry unter den Gästen herrschte, die sich zu Drinks vor dem Dinner im Salon versammelt hatten. Ich kannte niemanden außer Blondet, der mich zu meiden schien. Am Tisch hatte ich jedoch den Platz neben Gilberte, und sie sprach genauso warmherzig von Henry wie bei dem Essen in ihrem Haus. Das Mahl zog sich hin – Hubert hatte ein ménu de dégustation bestellt –, und in meinem Fall auch die Unterhaltung, weil Gilberte sich dem Mann zu ihrer Rechten widmete, dessen Name mir nicht im Gedächtnis geblieben war, während die Dame zu meiner Linken eine adlige Engländerin war, die sprach, als hätte sie eine heiße Kartoffel im Mund. Ich erfaßte nur jedes dritte Wort und hatte den Verdacht, daß sie mich gar nicht verstand. Endlich kamen wir zum Nachtisch. Kaum war das Eis serviert, erhob sich Hubert, trat vom Tisch zurück, läutete ein Glöckchen, das er aus der Jackentasche gezogen hatte, und kündigte an, daß er das Vorrecht des Präsidenten nutzen und den ersten Toast ausbringen werde: auf unseren Freund Henry White. Darauf entstanden die üblichen zustimmenden und erwartungsvollen Geräusche. Er bat um Ruhe, sagte, er sei noch lange nicht am Ende, und begann seine Rede mit einem weitschweifigen, pedantischen Gefasel über seine Vorfahren, ihre alten Herrenrechte und einstigen Besitztümer in Burgund, die einer Beziehung zu seiner Auswahl der herrlichen Weine, die wir alle zu genießen das Glück hätten, nicht entbehrten. Dann kam er zum nächsten Thema,den Militärbündnissen und der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen den Niederlanden und Britannien, die sie so oft Schulter an Schulter im Kampf gegen die Franzosen demonstriert hätten. In diesem Zusammenhang wies er auf die Anwesenheit seines großen Freundes und Partners Lord Cholmondeley an seinem Tisch hin. Ich fragte mich, ob er vielleicht betrunken war. Sein Gesicht war jedenfalls hochrot. Die Ähnlichkeit mit Goldfinger war beunruhigend.
Ich begann, genau aufzupassen, als ich meinen Namen hörte. Hubert sagte, er und seine Gäste fühlten sich geehrt, daß ein berühmter amerikanischer Romancier unter ihnen sei, ein Dichter phantasievoller Geschichten, der in seinen Werken wie in seinem Leben zu erkennen gebe, daß er Mut und Treue zu schätzen wisse. Die Freundschaft zwischen diesem großen Schriftsteller und unserem Freund Henry, dessen Wurzeln trotz seiner meisterlichen Beherrschung der angelsächsischen wie der kontinentalen Rechtsprechung in Osteuropa lägen – oder gar, und an dem Gedanken finde er Gefallen, bis in das Land hineinreichten, das seiner eigenen alten Familie den Namen gegeben habe –, diese Freundschaft beweise, daß Henry als junger Mann über die Gaben des Ungestüms und der Verve verfügt haben müsse, ohne die wahre Freundschaften unmöglich seien. Jetzt aber habe Henry eine sehr andere Fähigkeit bewiesen – die kluge Umsicht –; nun sei sein cri de guerre , sein Schlachtruf, nein, die Bezeichnung passe nicht, seine gemurmelte Losung sei: »der bess’re Teil der Tapferkeit ist Vorsicht«. Eine bewundernswerte und für einen Rechtsanwalt sehr passende Parole, sagte er; er selbst habe sich allerdings immer an einen anderen, auch beim großen Barden gefundenen Wahlspruch gehalten und bleibe dabei: »Aus der Nessel Gefahr pflücken wir die Blume Sicherheit.« Hubert breitete sich beharrlich weiter über dieses Thema aus. Zum Schluß sagte er dann: Ich erhebe mein Glas und trinke auf Henry.
Früher einmal hätte ich Hubert seinen exzellenten Champagner
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