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Ehrensachen

Ehrensachen

Titel: Ehrensachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Louis Begley
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erwidern. Von Margot sagte Henry nichts. Ich nahm an, er hatte seinen Eltern nicht so viel von ihr erzählt, daß sie neugierig geworden waren oder sich verpflichtet fühlten, ihre Existenz anzuerkennen. Da sie am Freitagmorgen mit dem Auto von Boston abfahren wollten, erwartete Henry, daß sie am späten Nachmittag desselben Tages im Hotel ankamen. Am Sonntag würden sie nach dem Frühstück wieder aufbrechen. Aber sehr schnell wurde Margot, obwohl sie inden Fragen und Anweisungen seiner Eltern gar nicht vorkam, Henrys größte Sorge. Als er ihr von dem bevorstehenden Besuch erzählte – ein großer Fehler, meinte er später –, erklärte sie kategorisch, sie wolle die Eltern kennenlernen. Falls Henry Bedenken hatte, Archie und mir seine Eltern vorzuführen – und für George galt das wahrscheinlich noch mehr –, dann behielt er sie für sich. Der Fall Margot lag anders; daß er sich ihretwegen den Kopf zerbrach, versuchte er uns nicht zu verbergen. Er überlegte sich verschiedene Alternativen und fand, die Aussicht auf ein Familiendinner mit Margot als einzigem Gast sei schlimmer als alles andere. Andererseits vertrugen George und Margot sich so schlecht, daß es nicht in Frage kam, sie zu dem geplanten Essen mit George, Archie und mir einzuladen. Außerdem war grundsätzlich zu klären, ob seine Eltern Margot unter allen Umständen sehen sollten. Einerseits war er inzwischen sehr stolz auf Margot oder jedenfalls auf die sonderbare Freundschaft mit ihr, und er hätte nichts lieber getan, als mit ihr anzugeben. Andererseits bestand die Gefahr, daß die Eltern – die Mutter, genauer gesagt – hinterher unfreundliche Bemerkungen machen, zum Beispiel monieren würden, daß Margot so direkt und kurzangebunden war oder, falls seine Mutter seine Verliebtheit durchschaute, daß sie keine Jüdin war. Schon die Vorstellung, seine Mutter könne sagen, diese nicht-jüdische Freundin, die du dir angelacht hast –, fand er unerträglich. Wie Mr. und Mrs. White auf Margot wirken würden und wie er diesen Faktor in seiner Kalkulation berücksichtigte, darüber sprachen wir nicht. Er erklärte uns jedoch, es könne sich negativ auswirken, daß Margot Halbjüdin war. Das überraschte mich.
    Es ist ganz einfach, sagte er. Auch wenn Margot keine richtige Jüdin sein kann, weil sie eine nicht-jüdische Mutter hat, ist doch die jüdische Verbindung da, und das kann für meine Mutter Grund genug sein, sie, ihre Kleider und ihrVerhalten und alles mögliche dem Krakauer Sittenkodex in seiner ganzen Strenge zu unterwerfen. Niemand war versnobter als die jüdische Bourgeoisie in Galizien vor dem Krieg. Die Berkshires und deine Cousinen kannst du vergessen. Sie haben gar keine Standards. Die einzige Person, die man in Krakau hätte gelten lassen, ist Georges Mutter. Sie ist genau richtig angezogen und verteilt Freundlichkeit und Gift in der richtigen Mischung. Wäre Margot einfach irgendeine Schickse, könnte meine Mutter sagen: Wie die sich aufführt, ist ihre Sache. Aber ein Mädchen, das die ahnungslose Öffentlichkeit für eine Jüdin halten könnte oder das ausgerechnet die Aufmerksamkeit des einzigen Sohns meiner Mutter auf sich zieht – alles, was mit diesem Mädchen zu tun hat, geht meine Mutter an und wird der strengsten Zensur unterzogen.
    Archie untersuchte die zugrundeliegenden logistischen Probleme und fand eine Lösung. Drei von uns – George, er und ich – würden am Abend der Ankunft mit Henry und seinen Eltern im Hotel essen, da sie wahrscheinlich müde von der Fahrt sein würden. Wegen dieser Müdigkeit konnte das Essen sich nicht lange hinziehen, und das war gut so. Am Samstagnachmittag nach einem Museumsbesuch oder einer anderen kulturbeflissenen Unternehmung, die Henry sich für seine Eltern ausdenken mochte, sollte es dann Drinks in unserer Wohnung geben. Sherry, spezifizierte er. Margot und drei oder vier Leute aus den Nachbarwohnungen sollten dazu eingeladen werden, vielleicht auch Jerry, unser Proktor. Dann hätten wir so viele Gäste, daß Margot und George sich im selben Zimmer aufhalten konnten.
    Ich hörte, wie Henry seinen Eltern, erst seiner Mutter und dann dem Vater, am Telefon, dieses Programm ankündigte. Henry sprach Englisch. Es hing von verschiedenen Umständen ab, in welcher Sprache er mit ihnen telefonierte. Ich hatte den Eindruck, daß er Polnisch sprach, wenn ernicht wollte, daß Archie und ich ihn verstanden, und auch, wenn der Gegenstand, zum Beispiel der Stoff seiner Kurse, kein Vokabular

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