Ehrenwort
schämen.
Später erfuhr Max zufällig, dass sein Misstrauen nur zum Teil berechtigt gewesen war. Bobo, der die Uhren verkaufen sollte, war querschnittsgelähmt und nicht in der Lage, die Beute persönlich aus dem Versteck zu holen.
Max hatte nie erfahren, wo Falko wohnte. Da Kevin den Familiennamen Müller trug, hatte er im Telefonbuch unter Falko Müller nachgeschaut. Müller gab es viele, aber kein Falko war dabei. Oder war Kevin ein uneheliches Kind und trug den Nachnamen seiner Mutter? Vielleicht hatte man Kevins Vater nur wegen seiner krummen Nase einen Raubvogelnamen angehängt, und er hieß in Wirklichkeit Fred, Karlheinz oder weiß der Teufel wie. Jedenfalls war Falko unter seinen Freunden offenbar der King. Plötzlich musste Max an König Drosselbart denken, der ein gebogenes Kinn hatte wie die Drossel einen gekrümmten Schnabel. Diese Geschichte hatte ihm seine Großmutter oft vorgelesen. Im Gegensatz zum Märchenkönig war Falko keine Erfindung.
12
»Im Sommer werde ich neunzig«, sagte der Alte. »Und du hast dann auch irgendwann Geburtstag. Wie alt wirst du eigentlich?«
»Einundzwanzig«, sagte Max.
Sein Großvater schlug vor, ein gemeinsames Fest zu veranstalten und alle Freunde einzuladen.
»Wie viele hast du denn?«, fragte Max skeptisch und erfuhr, dass die beiden engsten Freunde verstorben waren, ein paar andere nicht mehr richtig tickten.
»Du hast wahrscheinlich viele Freunde«, meinte der Alte wehmütig. Aber Max verneinte. Er war immer ein Einzelgänger gewesen und sein einziger richtiger Freund war nach der Bundeswehrzeit in die USA ausgewandert. Sie schrieben sich gelegentlich E-Mails.
»Also können wir auf störende Gäste verzichten und ganz unter uns auf den Putz hauen«, meinte Max und bot dem Großvater eine Zigarre an.
»Mizzi sollte aber dabei sein«, meinte der Alte. »Ich habe das Kind schon lange nicht mehr gesehen. Was läuft da eigentlich ab, was ich nicht wissen darf? Sie geht doch nicht etwa auf den Strich?«
»Meine Schwester ist lesbisch«, sagte Max und steckte sich vor Schreck und Verlegenheit die erste Zigarre seines Lebens an.
Beide schwiegen ziemlich lange.
»Du hast schon einmal so etwas angedeutet, aber ich mochte es nicht glauben. Dann muss ich wohl die Hoffnung auf einen Urenkel begraben, denn du solltest nicht meinetwegen jetzt schon ein Kind in die Welt setzen. - Doch wer hätte das von unserer Mizzi gedacht! Einen solchen Fall gab es noch nie in unserer Familie«, sagte der Alte kopfschüttelnd.
»Vielleicht doch, Opa, aber man durfte es nicht aussprechen. Papa hat heute noch Probleme damit. Er kann die Jasmin nicht ausstehen, dabei ist sie völlig in Ordnung. Vielleicht redest du mal mit ihm...«
»Wieso ich? Das hätte überhaupt keinen Zweck, Harald hasst mich. Außerdem ist es manchmal besser, man hält den Mund - si tacuisses und so weiter. Wunden darf man nicht aufkratzen. Und schon gar nicht in meinem persönlichen Fall.«
Max wurde neugierig. Aber er wusste, dass man dem Opa nicht mit »Mir kannst du es ja sagen« kommen konnte.
»Was meinst du mit deinem persönlichen Fall?
Der Zoff mit Papa ist doch längst verjährt. Oder war es im Krieg?«, fragte er vorsichtig.
Lange Pause. Beide rauchten, Max hustete.
Dann flüsterte der Alte: »Ich habe einen Kameraden getötet.«
Dichter Qualm hüllte Großvater und Enkel ein. Max öffnete die Balkontür. Draußen schien die Sonne, Obstbäume begannen zu blühen, Vögel zwitscherten.
Der Alte berichtete mit jämmerlicher Stimme, wie er und ein anderer Soldat verwundet im Schützengraben lagen, drei weitere wollten Hilfe holen. Kurz darauf hörten sie Detonationen und waren sicher, dass es ihre Samariter erwischt hatte.
»Mich hatte es nicht lebensgefährlich getroffen, ich konnte aber nicht mehr laufen; mein Kumpel dagegen war schwer verletzt und brüllte vor Schmerzen. Er verlangte, dass ich erst ihn und dann mich selbst erschießen sollte, weil wir so oder so verloren wären. Wie durch ein Wunder wurde ich eine Stunde später gerettet. Diese Szene verfolgt mich noch heute bis in meine Träume.«
Max holte den Cognac seines Vaters und zwei Gläser. Er wusste keinen anderen Trost.
»Die Pistole besitze ich immer noch; wenn mich die Gewissensbisse plagten, habe ich sie manchmal hervorgeholt. Vielleicht hätte man meinem Kameraden ja helfen können. Das verfolgt mich bis heute. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie schlimm ein Krieg ist. Hoffentlich bleibt es euch weiterhin
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