Ehrenwort
erfuhr Max vom anonymen Brief und dem Anruf, was ihn aber wenig beeindruckte. Er hatte ganz andere Erfahrungen mit der kriminellen Szene gemacht.
»Regt euch nicht auf«, sagte er. »Hunde, die bellen, beißen nicht.«
»Du redest schon fast wie Opa, nur nicht auf Latein«, bemerkte sein Vater.
Petra konnte es sich nicht verkneifen, »Cave canem!« zu rufen, ehe sie sich ein beruhigendes Kräuterbad einlaufen ließ. Max und sein Vater hatten sich nichts weiter zu sagen, Harald ging in die Küche und schmierte sich ein Graubrot mit Leberwurst.
Es war noch viel Zeit, bis Jenny mit der Arbeit fertig war und Max sie abholen konnte. Er sah noch einmal bei seinem Großvater vorbei, um ihm eine gute Nacht zu wünschen. Der Alte lag im Bett, grantelte vor sich hin und verfolgte in unterschiedlichen Kanälen möglichst alle Nachrichten und Horrormeldungen. Offensichtlich hatte er eine ganze Flasche Mineralwasser ausgetrunken. Max bedeutete ihm, die Kopfhörer abzunehmen. Endlich konnte er mal einen hausgemachten Schreckensbericht liefern. Fasziniert hörte sich der Alte die aufregenden Neuigkeiten an.
»Meinst du, dein Vater hat sich bestechen lassen?«, fragte er.
Max schüttelte den Kopf. »Papa ist sehr korrekt. Aber es sieht natürlich blöd aus, dass sein Duzbruder den Zuschlag für den Bau der Tiefgarage bekommen hat.«
Der Alte nickte zustimmend. Aber dann jubelte er beinahe: »Junge, hast du nicht begriffen - wir sind mitten in einem Krimi! Die wollen deinen Vater erpressen! Sie werden Mizzi ein Ohr abschneiden, deine Mutter entführen oder gar dich...«
»Oder dich«, sagte Max und grinste.
»Scherz beiseite«, sagte der Großvater. »An mir hätten sie wenig Freude, und Harald wäre bloß froh, mich loszuwerden. Aber du bist in Gefahr, Junge, merkst du das nicht?«
»Nee. Die Polizei ist bereits informiert, viel mehr kann man nicht machen.«
»Polizei? Die haben anderes zu tun, als Tag und Nacht vor unserem Haus zu patrouillieren. Wir sind schließlich keine Promis! Es wäre mir lieb, wenn ich meine Walther unterm Kopfkissen hätte. Sei doch so nett...«
»Opa, ich habe den Wehrdienst verweigert. Ich fasse keine Waffen an.«
»Die Pistole liegt - das ist mir ein bisschen peinlich - also sie steckt in einem Koffer zwischen den Heftchen. Na ja, solche mit nackten Weibern. Es war schließlich nach dem Krieg nicht ungefährlich, eine Militärpistole vor den Besatzern zu verbergen und jahrzehntelang sicher zu verwahren. Vielleicht kann uns das gute Stück jetzt von Nutzen sein. Jedenfalls ist euer Willy Knobel ein altgedienter Landser, der seine Familie in der Not verteidigen kann.«
Max versprach seinem Großvater, bei nächster Gelegenheit nach der Pistole zu suchen. Bestimmt war das alte Ding völlig verrostet, und man konnte damit keinen Schaden mehr anrichten.
13
Nein, Jenny wollte nicht, dass Max zu ihr nach Hause käme. Sie lebte in zwei kleinen Zimmern in einem billig gebauten Wohnblock, durch die dünnen Wände konnten die Nachbarn mithören, und es wimmelte von alten Leuten, die ständig durch den Spion registrierten, wer die Treppe hinaufkam. Alles Spießer, die nichts anderes zu tun hätten, als zu hetzen. Einen Lift zum vierten Stock gab es leider nicht, es handelte sich schließlich um Sozialwohnungen. Bei Max sei es viel gemütlicher, überhaupt liebe sie dieses alte Haus und alle seine Bewohner.
In ihrer zweiten gemeinsamen Nacht hatte Max ein paar Einzelheiten aus Jennys Jugend erfahren. Wie er geahnt hatte, war es nicht immer leicht für sie gewesen. Der Vater war als beinamputierter Frührentner zum ewig kränkelnden Nörgler geworden, die Mutter arbeitete im Schichtdienst und kam stets völlig erschöpft zurück. Jenny und ihre Schwester wurden schon früh zur Hausarbeit eingeteilt, und es setzte Ohrfeigen, wenn sie nicht spurten. Sie lebten in einem kleinen Ort im Odenwald. Um auf die Realschule gehen zu können, musste Jenny schon um sieben Uhr den Bus nehmen.
»Da lehnte ich mit meinen zehn Jahren todmüde am Fenster, ganz ohne mitfühlende Freundin. Außer mir fuhren nämlich nur Jungen mit, die mir mehr als einmal Kaugummi in die Zöpfe kneteten.«
»Und deine Schwester?«, fragte Max.
Sie lebte in Schweinfurt, war verheiratet und hatte Zwillinge. Jenny seufzte. Zwischen ihrer Kindheit und heute lag eine längere Periode, über die sie offensichtlich nicht gern reden mochte.
»Wie kommt es bloß«, fragte Max unverfänglich, »dass du immer guter Laune bist?«
»Mir macht
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